Kurt-Dieter Jünger
Die bisherige Berichterstattung im Lokal- wie auch im Wirtschaftsteil über das unsägliche, menschenverachtende Debakel/Chaos und das weltweite Geschachere um die Aufrechterhaltung dieses letzten Oberhausener Babcock-Produktionsstandortes hätte m. E. viel größeren Diskussionsraum einnehmen müssen.
Was hätten die Babcock-Beschäftigten, Vertrauensleute, Betriebsräte und die IG Metall (IGM) aus der Babcock-Insolvenz im Jahr Juli 2002 lernen können???
Im Wandel der Generationen. 100 Jahre Deutsche Babcock, herausgegeben von Hans Lorenz Ewaldsen, Plitt Verlag, Oberhausen, den 30. September 2000:
In seinem Vorwort kommt Herr Ewaldsen zu der richtigen Erkenntnis, dass bestimmte Entscheidungen besser nicht getroffen worden wären, vor allem, wenn „ungeeignete Führungskräfte eingesetzt oder geeignete Mitarbeiter mangelhaft betreut wurden“ (zitiert ebenda: H.L. Ewaldsen, Vorwort Blatt 2).
Keine zwei Jahre später musste der Konzern unter „Führung“ von Herrn Lederer Insolvenz anmelden.
Die meisten der fast 400 Beteiligungsgesellschaften wurden ebenfalls zur Insolvenz gezwungen, da alle juristisch selbständigen Firmen sich einem striktem cash clearing unterwerfen sollten und es leider auch taten. Das bedeutete, jede eingegangene „Mark” musste umgehend an die Holding überwiesen werden. Zahlungsverpflichtungen konnten nur mit Genehmigung der Holding eingehalten werden.
Die finanzielle Schieflage war zu dem Zeitpunkt den Hausbanken, der Politik und einigen Konzernbetriebsräten klar.
Die Großdemonstration der Beschäftigten vor dem Düsseldorfer Landtag brachte den erzneoliberalen Ministerpräsidenten Clement und Tage später in der Oberhausener Luise-Albertz- Halle auch den Bundeskanzler Schröder (beide SPD) unter Zugzwang.
Die Banken konnten von der Sanierung nicht überzeugt werden. Die geforderten Lohn-/Gehaltseinsparungen von 50 Millionen wurden durch einen Sanierungstarifvertrag nach heftigen Diskussionen mit deutlicher Mehrheit der IGM-Vertrauensleute/Betriebsräte erzielt.
Weder die Politik noch die Zugeständnisse haben die Insolvenz abwenden können. Die meisten Beschäftigten verloren neben ihren Arbeitsplätzen auch noch weitestgehend die Ansprüche aus den abgeschlossenen Sozialplänen mangels Masse.
Ein Treppenwitz der Geschichte ist die Verurteilung von Ex-Babcock-Chef Klaus Lederer im Jahr 2008 – sechs Jahre nach der Insolvenzverschleppung – zu einer Bewährungsstrafe, einer Geldauflage von 250.000 Euro und 1.000 Sozialstunden in seinem neuen Domizil in Florida.
Oberhausen verlor durch die Insolvenz Tausende von direkten und indirekten Arbeitsplätzen, und eine Deindustrialisierung wurde beschleunigt.
Die neuerliche Babcock-Insolvenz 2020 mit dem wohlklingendem Namen „Solution” wurde einfach sang-, klang- und klaglos abgewickelt. Ein Sanierungstarifvertrag wurde auch hier von den Beschäftigten und der IGM akzeptiert, ohne den erhofften Erfolg herbei führen zu können.
Einige der wenigen noch vorhandenen Industriearbeitsplätze (ca. 100 Mitarbeitende) wurden dadurch unwiederbringlich vernichtet.
Eine historische Chance für die vielen Oberhausener Geschichten rund um den ehemals großen Babcock-Konzern mit fast 40.000 Beschäftigten wurde wieder einmal vertan.
Die einzigartige, produktive Erinnerungsstätte hätte erhalten werden können, aber selbst der Arbeitsagentur waren die „paar“ Arbeitsplätze nicht so wichtig. In den Gläubigerausschuss mussten ihre Vertreter geradezu gedrängt werden.
Für den friedensstiftenden Ex-Bundeskanzler Schröder mit seinen vielen internationalen, russischen und koreanischen Partnern wäre es vielleicht ein Leichtes gewesen, potente Partner zu finden.
Der Ex-Außenminister Gabriel und neuerdings Aufsichtsrat der Deutschen Bank (derzeitiger Verlust ca. 5,x Milliarden) dürfte keine Probleme gehabt haben, eine Peanutsfinanzierung in Zusammenarbeit mit den ansonsten so kreativen Sparkassen zu realisieren.
Die Politik äußert Bedauern und versteckt sich hinter dem Dogma der Alternativlosigkeit, anstatt sich radikal für den Erhalt von qualifizierten Industriearbeitsplätzen einzusetzen. Die politischen Repräsentanten von Hausmann bis Vöpel äußern sich zu allen internationalen/nationalen Themen, ob Krieg in Syrien oder Corona, aber besser wäre: „Grabe da wo du stehst“, oder wo du her kommst.
Wir brauchen nicht nur ein Ökologie Change, sondern auch ein System Change, wie bereits auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos von vielen Teilnehmenden erkannt und gefordert wurde. So darf, kann und wird es mit der ökologisch-ökonomischen Weltsicht nicht weitergehen können.
Der Spruch „zu groß, um zu stürzen“ hatte in der Finanzkrise 2008/2009 mit unseren Steuergeldern die Bankenwelt stabilisiert und zur staatlichen Beteiligung bei der Commerzbank geführt. Jetzt muss umgekehrt auch gelten: „Nicht zu klein, um nicht mit ein paar Milliönchen gerettet werden zu können!“
Anstatt steuerfinanzierte Qualifizierung zur Arbeitslosigkeit zu fordern, täten die Beteiligten / IGM, Arbeitsagentur, IHK, Stadt, Land und Bund gut daran, einmal unsere Steuergelder für eine echte Mitarbeiterbeteiligung und zur Erhaltung von Arbeitsplätzen einzusetzen.
Die Wege sind aufgezeigt worden, und die Fehler wiederholten sich. Meines Erachtens gilt grundsätzlich: hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand.
Für die Zukunft gilt es, Beschäftigte, die Bevölkerung und die IGM zu mobilisieren, um zukünftige weitere Kahlschläge zu verhindern.