Alina Fuchs
Als die beiden menschewistischen Studenten Iwan Judin und Peter Michailow 1921 – eigenen Angaben zufolge – von der sibirischen Verbannung aus nach Deutschland kamen, waren sie sich sicherlich im Klaren darüber, dass sich die deutschen Beamten nicht über ihre Ankunft freuen und sie unbehelligt illegal in Deutschland verweilen lassen würden. Im Besonderen muss ihnen auch klar gewesen sein, dass sie sich durch das Unterkommen bei einem Kommunisten und dem Reisen quer durch Deutschland bis ins Ruhrgebiet mit Pässen, die ihnen trotz offensichtlicher Unliebsamkeit von der Berliner Vertretung der Sowjetunion ausgestellt worden waren, verdächtig machen würden. Trotzdem geschah all dies, und prompt hatten die ganz hohen Tiere in den Polizeidienststellen der Weimarer Republik die beiden auf dem Kieker.
Am 16. Dezember 1921 schreibt die Meldestelle für den Regierungsbezirk Düsseldorf in Essen an den Staatskommissar für öffentliche Ordnung in Berlin, stellt den Sachverhalt dar und zieht die Angaben Judins und Michailows in Zweifel. Sie wären wahrscheinlich „von irgend einer [sic!] Berliner Parteizentrale zu politischen Zwecken nach Hamborn dirigiert worden“ und „in politischer Hinsicht eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“. Etwa einen Monat später wird zurückgemeldet, es habe sich nichts über die beiden ermitteln lassen, man solle sie trotzdem überwachen und sie abschieben, „sollten sie sich als lästige Ausländer erweisen“.
An dieser Stelle könnte man jetzt nüchtern bemerken, dass Judin und Michailow an ihrer Parteizugehörigkeit selber schuld seien und man obendrein, obwohl sie in Deutschland mit einem Kommunisten und einem Syndikalisten verkehrten, ein potentielles Engagement für die Weiße Armee nicht ausschließen kann.
Das wäre aber einerseits boshaft und andererseits nicht der springende Punkt an der polizeiinternen Korrespondenz. Sondern viel eher, dass zwei linke Ausländer trotz mangelnder Beweise überwacht werden, um sie eindeutig in die Kategorie „guter Ausländer“ einsortieren zu können, falls sie sich nicht politisch betätigen und sich so als „ordentliche Menschen erweisen“, die tatsächlich die sowjetische Ordnung ablehnen. Der Faktor der politischen Betätigung wird durch die Beamten mehrfach explizit hervorgehoben.
Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung bis hundertprozentig erwiesen ist, dass ebendies nicht der Fall ist. Ein alter Hut, der die Zeiten überdauert im Zusammenhang mit Linken, Ausländern und als ausländisch gelesenen Menschen – insbesondere denen aus „verdächtigen“ Ländern.
Die Polizei der Weimarer Republik führte extensive Listen deutschsprachiger russischer Kommunisten, die zu überwachen und zu kontrollieren seien, unter Vorwänden wie einer Prüfung des Visums. Es sei auf jeden Fall zu vermeiden, dass die Kontrollierten auf den wahren Grund der Untersuchung kämen. Die Instruktionen für eine solche Kontrolle weisen die Beamten allerdings an, derart neugierige Fragen nach z.B. Reiseziel und -zweck zu stellen, dass nur eine sehr naive Person nicht Verdacht schöpfen würde.
Heutzutage sind sich zwar die allermeisten Herren und Damen Wachtmeisters sicher, dass nicht im nächsten Moment eine sozialistische Revolution ihre gegen antikapitalistische Angriffe wohl gewappnete Ordnung hinwegfegen wird, aber sie scheinen dennoch zu meinen, dass man das Linkssein mit Pfefferspray austreiben kann.
So geschehen einem Genossen, der einen achtjährigen Jungen vor einem übermäßig aggressiven Polizisten schützen wollte.
Die NPD hatte in der Nähe einer Schule einen Infostand aufgebaut, und um die Zeit des Schulschlusses begannen spontan die zum Großteil migrantischen Schüler den Stand zu umringen und zu protestieren.
Ein Polizist fiel dabei aggressiv auf. Als sich die Versammlung bereits auflöste und Schüler einige Beamte fragten, warum sich die Neonazis überhaupt öffentlich äußern dürfen, rastete der Polizist aus und jagte den kleinen Jungen quer über den Platz. Der Genosse versuchte, den Polizisten zu beruhigen, woraufhin der Schläger ihn in den Schwitzkasten nahm, trotz der Versicherungen des Genossen, er leiste keinen Widerstand, man könne seine Personalien aufnehmen. Stattdessen legte der Polizist ihm Handschellen an, er wurde von Beamten in eine Wanne gezerrt und bekam mit auf dem Rücken gefesselten Händen Pfefferspray ins Gesicht gesprüht.
Das hatte ein Nachspiel – für den Genossen: Der Polizist behauptete, von dem Antifaschisten angegriffen worden zu sein. Vor Gericht bestätigten selbst Kollegen des Schlägers die Version, die hier dargelegt ist. Dennoch wurde der Genosse verurteilt, als wäre er ein Verbrecher.
Derartige Ungerechtigkeiten gegen Antifaschisten, Antikapitalisten und Migranten gerichtet sind auch heute gang und gäbe.
Ähnlich wie die Polizei um 1920 Linke für leichtere Vergehen deutlich härter bestrafte als Rechte, finden sich auch heutzutage Antifaschisten kruden Gerichtsverhandlungen ausgesetzt, während staatlich legitimierte Schlägertypen gewöhnlich keine Konsequenzen zu erwarten haben.
Dazu kommt die Durchsetzung der Polizei mit reaktionärem Gedankengut, das immer mal wieder an die Oberfläche kommt, wie zum Beispiel am 1. Mai 2019 in Form eines Aufklebers der Identitären Bewegung („Europa – Jugend – Reconquista“) in einer Wanne in Duisburg.
Gleichzeitig gehen witzigerweise die grausamsten Drohungen gegen die Polizei von Faschisten aus: In einem schon etwas älteren Artikel der Rheinischen Post wurde ein Drohbrief an die Polizei (teilweise?) abgedruckt, in dem der Absender die Herren und Damen Wachtmeisters als „Antifa-Büttel“ bezeichnete und meinte, man müsse sie samt ihren Kindern und Frauen (offenbar gibt es in der Welt des Schreibers keine Polizisten, die Männer haben) in ihren Häusern verbrennen.
Man könnte beinahe auf die Idee kommen, dass die Polizei auch um ihrer selbst willen aufhören sollte, Faschisten zu eskortieren und zu hofieren.
Aber ach! in Zeiten, in denen der bekannte Faschist Kalbitz gemütlich am See sitzend seine Standpunkte im Fernsehen darlegen darf, ist selbst das wohl ein Wunschtraum, der so weit entfernt ist wie die sozialistische Weltrepublik.