Am 12. Juni 2018 fand in der Fabrik K14 ein Liederabend statt: Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Revolution, Revolution“ spielten Rainer und Stephan aus Oberhausen Lieder unter dem Motto „Zwischen Romantik, Revolution und Reaktion“. Anlass waren der Jahrestag der Deutsche Revolution 1848 und der 200. Geburtstag von Karl Marx (siehe Juni/Juli-Ausgabe der Avanti O.). Während der Veranstaltung erinnerte Udo Filthaut an die Revolutionärin Mathilde Franziska Anneke, die – wie viele bedeutende Frauen – zumindest in Deutschland weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Diesen Beitrag drucken wir hier ab.
Geboren wurde Mathilde Franziska am 3.April 1817 auf dem großväterlichen Gut Leveringhausen, heute zu Sprockhövel gehörig.
Ihre Eltern, die Gieslers, waren nicht irgendwer. Sie gehörten zur Hautevolee des Ruhrgebiets.
Ihr Vater, Besitzer und Aktionär mehrerer Zechen, verspekulierte sich jedoch mit Eisenbahnaktien, worauf die Familie mit ihren zwölf Kindern in ein bescheideneres Haus nach Hattingen umziehen musste.
Mit 19 Jahren wurde Mathilde Franziska Giesler mit dem reichen adligen Mülheimer Weinhändler Alfred von Tabouillot verheiratet. Ihr Ehemann erwies sich als gewalttätig und trunksüchtig. Bereits nach kurzer Zeit, ihre Tochter war gerade geboren, verließ sie ihn. Sie zog über Wesel nach Münster. Ein erster und damals revolutionärer Schritt in ihr neues Leben.
In Münster bestritt sie ihren Lebensunterhalt mit dem Verfassen von Gebetbüchern und religiösen Gedichten. Sie führte ein konservatives und gottgefälliges Leben. Dann aber machte sie ganz wie von selbst und mit erstaunlicher Geschwindigkeit weitere Schritte.
Der kräftezehrende Scheidungsprozess beschied der gebildeten und selbstbewussten Bürgerstochter eine tief erschütternde Erfahrung: Was für Bösartigkeiten und welche Zwänge hielt doch die männliche Weltordnung für Frauen, die sich nicht fügen wollten, bereit!
Über einen Frauenzirkel, vielleicht vergleichbar mit einer heutigen Selbsthilfegruppe, wurde sie mit den ersten zaghaften feministischen Gedanken vertraut.
Und dann ging es Schlag auf Schlag. Sie verliebte sich in den wenig später unehrenhaft aus der preußischen Armee entlassenen Offizier Friedrich Anneke, welcher sie mit aufmüpfigen jakobinischen, gar „communistischen“ Gedanken begeisterte. Anneke war da schon eng mit Marx und Engels befreundet.
„Das Weib im Conflikt mit den socialen Verhältnissen“ nannte Mathilde Franziska, schon als „Apostolin des Communismus“ verschrien, eine ihrer ersten politischen Schriften.
Mit Fritz ging Mathilde, nun verheiratete Anneke ( „Der Pfarrer sagte allerlei Unsinn über Gott und einiges Hübsche über die Liebe.“, M. F. Anneke) nach Köln. Dort geriet auch sie sehr schnell in die Kreise um Marx, Engels, Herwegh. Sogar mit Bakunin war sie befreundet.
Auf Anregung von Anneke gründete sie die erste von einer Frau gemachte Zeitung überhaupt. Die „Neue Kölnische Zeitung“ (NRhZ). Als Karl Marx ’48 die „Neue Rheinische Zeitung“ aufgeben musste und Deutschland verließ, empfahl er seinen Lesern Frau Annekes Zeitung. Diese wurde alsbald ebenfalls von der Zensur verboten und erschien ab September 48 als „Frauenzeitung“ weiter. Fritz Anneke und andere saßen im Gefängnis, Engels war auf der Flucht, Marx hatte alle Hände voll zu tun, die Schulden der NRhZ zu bezahlen. Die Männer waren geschlagen, aber die „Frauenzeitung“ erschien. Leider nur für wenige Wochen, dann obsiegte die preußische Zensurbehörde.
Mathilde Franziska lag allerdings nichts ferner, als sich von so einem Vorfall den Wind aus den Segeln nehmen zu lassen, wie ihr weiterer Lebenslauf zeigt.
Als in der Pfalz und in Baden das preußische Heer gegen die revolutionären Truppen antrat, wurde Fritz Anneke der Befehlshaber der Artillerie und Frau Anneke seine berittene Ordonanz. Ihre mutige und selbstbewusste Erscheinung lies jede Kritik oder auch den Spott an einer Frau im Kampf schon im Keim ersticken.
Nach der furchtbaren Niederlage bei Rastatt flohen die Annekes, Friedrich Engels und viele andere der Überlebenden unter noch tagelangen Kämpfen in die Schweiz. Deutschland versank im Terror der Konterrevolution.
Viele der Revolutionäre gingen dann nach Amerika, auch die Annekes. Dort waren die „48’er“ enthusiastisch willkommen geheißen. Durch ihre Teilnahme am Bürgerkrieg und in politischen Ämtern wirkten sie entscheidend an der Entstehung der – damals noch freiheitlichen – Vereinigten Staaten mit.
Mathilde Anneke gründete in Milwaukee nicht nur die erste Schule für Mädchen, sondern sie erlangte sehr bald auch ein großes Ansehen als Frauenrechtlerin und Begründerin der amerikanischen feministischen Bewegung. Und bis an ihr Lebensende kämpfte sie für die Rechte der AfroamerikanerInnen und die der indigenen Urbevölkerung.
Am 25.11.1884 verstarb in Milwaukee die dort hoch geehrte Mathilde Franziska Anneke. Die Zeitungen in den USA gedachten mit bewegenden Nachrufen dieser bedeutenden Frau. Bis zum heutigen Tag ist sie in den USA, jedenfalls unter Feministinnen, bekannt.
In Deutschland aber war 20 Jahre später die revolutionäre feministische Vorkämpferin gänzlich in Vergessenheit geraten – ein typisches Schicksal unbequemer Frauen:
Wer kennt heute noch Annekes Mitstreiterinnen Luise Aston, Emma Herwegh, Franziska Hammacher oder Sophie Gräfin Hatzfeldt? Alles Streiterinnen für Frauenrechte im Vormärz und in der Revolution 1848/49. Alles noch zu hebende Schätze nicht nur der weiblichen Emanzipation.