¡Adiós, com­pa­ñe­ro! San­di­nist, Christ und Marxist

Der fol­gen­de Nach­ruf auf Ernes­to Cardenal 
wur­de uns von einem Leser zugesandt.
Er hat­te ihn per­sön­lich erlebt und schreibt 
somit aus einer per­sön­li­chen Sicht.

Ernesto Cardenal, 2009. Foto:  Roman Bonnefoy (Manifestation publique).

Ernes­to Car­denal, 2009. Foto: Roman Bon­ne­foy (Mani­fes­ta­ti­on publique).

 

Ernes­to Car­denal ist gestor­ben. Nicht völ­lig uner­war­tet – sein hohes Lebens­al­ter von 95 Jah­ren und zahl­rei­che Erkran­kun­gen in sei­nen letz­ten Jah­ren berei­te­ten dar­auf vor. 
Neben den vie­len Nach­ru­fen, die im Wesent­li­chen aus his­to­ri­schen Daten und Inhal­ten von Drit­ten bestehen, schrei­be ich hier eine per­sön­li­che Wür­di­gung von Ernes­to Cardenal.
Für vie­le Lin­ke aus Euro­pa und ande­ren west­li­chen Län­dern war die Revo­lu­ti­on der FSLN* in Nica­ra­gua Anfang der 1980er Jah­re ein poli­ti­scher Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt. War es doch 1979 gelun­gen, einem der vom US-Impe­ria­lis­mus gestütz­ten Dik­ta­to­ren die Macht zu entreißen.

Tau­sen­de über­wie­gend jun­ge Men­schen reis­ten nach Mit­tel­ame­ri­ka, um in Nica­ra­gua die san­di­nis­ti­sche Revo­lu­ti­on zu unter­stüt­zen: durch tat­kräf­ti­ge Mit­ar­beit in der Land­wirt­schaft, im Bau­be­reich, durch den Bau und die Orga­ni­sa­ti­on von Gesund­heits­pos­ten oder auch in Pro­jek­ten und bei der Alpha­be­ti­sie­rung. Ca. drei vier­tel der Einwohner*innen Nica­ra­gu­as konn­ten 1979 weder lesen noch schreiben.

Vie­le kamen für Mona­te, man­che für Jah­re, ande­re für immer. Trotz schon damals vor­han­de­ner Kri­tik an man­chem Han­deln der FSLN über­wog die Soli­da­ri­tät. Das, was spä­ter mit dem Orte­ga-Clan kam, war viel­leicht zu ver­mu­ten, aber noch nicht so klar sichtbar.

Ange­nehm und posi­tiv hob sich dort immer Ernes­to Car­denal her­vor – der eine ein­fa­che und kla­re Linie vertrat.
Einer­seits auf­grund sei­ner ethi­schen Über­zeu­gung von abso­lu­ter Gewalt­frei­heit, die er aber nur für sich selbst zum Prin­zip erhob und nur für den Ide­al­fall ver­all­ge­mei­ner­te. Und ande­rer­seits durch sei­ne kla­re und prak­ti­sche Soli­da­ri­tät mit den Aus­ge­beu­te­ten und Unter­drück­ten, wobei er auch immer die Ursa­che für die Miss­stän­de benann­te: den Kapitalismus.
Damals war er Kul­tur­mi­nis­ter in der san­di­nis­ti­schen Regie­rung. Es war nor­mal, dass Brigadist*innen bei Tref­fen, an denen auch Ernes­to Car­denal – als ein­zi­ger Regie­rungs­ver­tre­ter – teil­nahm, stun­den­lang und manch­mal sehr kon­tro­vers mit ihm dis­ku­tier­ten. Dass dies etwas beson­de­res gewe­sen ist, wur­de mir erst Jah­re spä­ter, wo ich längst zurück war in Euro­pa, bewusst. Auch vor dem Hin­ter­grund der zuneh­mend reak­tio­nä­ren Ent­wick­lung in Nicaragua.

Auch als über­zeug­ter Athe­ist muss ich sei­ner Hal­tung und Über­zeu­gung hohe Aner­ken­nung zol­len. Wenn auch sein Den­ken und Han­deln nicht immer bruch­frei war, so war Ernes­to Car­denal doch ein Revo­lu­tio­när, der kla­rer und deut­li­cher als vie­le erklär­te Lin­ke das aus­sprach, was wesent­lich war: die Not­wen­dig­keit, das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem zu über­win­den und die prak­ti­sche Soli­da­ri­tät mit den Unter­drück­ten und Aus­ge­beu­te­ten. Und er ver­hielt sich auch danach.

Vie­le (jün­ge­re) Lin­ke ken­nen sei­nen Namen kaum noch, win­ken ab, wenn sie etwas von Theo­lo­gie der Befrei­ung hören, oder ver­wei­sen dar­auf, dass er ja eigent­lich ein katho­li­scher Pries­ter war. Ja, sach­lich ist letz­te­res rich­tig. Aber die wenigs­ten haben sei­ne Bücher gele­sen oder ken­nen sein poe­ti­sches Werk. Sie täten gut dar­an, sich damit zu beschäf­ti­gen, bevor sie sich dazu äußern. Er war ein beson­de­rer Mensch, der mehr Revo­lu­tio­när war, als vie­le von ihnen es je sein werden.

Möge die Erde dir leicht sein. *Adiós Ernesto.

*Fren­te San­di­nis­ta de Libe­r­ación Nacio­nal (Natio­na­le san­di­nis­ti­sche Befreiungsfront)

aus der Avan­ti O., Jan. -Mrz. 2020
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