Der folgende Nachruf auf Ernesto Cardenal
wurde uns von einem Leser zugesandt.
Er hatte ihn persönlich erlebt und schreibt
somit aus einer persönlichen Sicht.
Ernesto Cardenal ist gestorben. Nicht völlig unerwartet – sein hohes Lebensalter von 95 Jahren und zahlreiche Erkrankungen in seinen letzten Jahren bereiteten darauf vor.
Neben den vielen Nachrufen, die im Wesentlichen aus historischen Daten und Inhalten von Dritten bestehen, schreibe ich hier eine persönliche Würdigung von Ernesto Cardenal.
Für viele Linke aus Europa und anderen westlichen Ländern war die Revolution der FSLN* in Nicaragua Anfang der 1980er Jahre ein politischer Kristallisationspunkt. War es doch 1979 gelungen, einem der vom US-Imperialismus gestützten Diktatoren die Macht zu entreißen.
Tausende überwiegend junge Menschen reisten nach Mittelamerika, um in Nicaragua die sandinistische Revolution zu unterstützen: durch tatkräftige Mitarbeit in der Landwirtschaft, im Baubereich, durch den Bau und die Organisation von Gesundheitsposten oder auch in Projekten und bei der Alphabetisierung. Ca. drei viertel der Einwohner*innen Nicaraguas konnten 1979 weder lesen noch schreiben.
Viele kamen für Monate, manche für Jahre, andere für immer. Trotz schon damals vorhandener Kritik an manchem Handeln der FSLN überwog die Solidarität. Das, was später mit dem Ortega-Clan kam, war vielleicht zu vermuten, aber noch nicht so klar sichtbar.
Angenehm und positiv hob sich dort immer Ernesto Cardenal hervor – der eine einfache und klare Linie vertrat.
Einerseits aufgrund seiner ethischen Überzeugung von absoluter Gewaltfreiheit, die er aber nur für sich selbst zum Prinzip erhob und nur für den Idealfall verallgemeinerte. Und andererseits durch seine klare und praktische Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten, wobei er auch immer die Ursache für die Missstände benannte: den Kapitalismus.
Damals war er Kulturminister in der sandinistischen Regierung. Es war normal, dass Brigadist*innen bei Treffen, an denen auch Ernesto Cardenal – als einziger Regierungsvertreter – teilnahm, stundenlang und manchmal sehr kontrovers mit ihm diskutierten. Dass dies etwas besonderes gewesen ist, wurde mir erst Jahre später, wo ich längst zurück war in Europa, bewusst. Auch vor dem Hintergrund der zunehmend reaktionären Entwicklung in Nicaragua.
Auch als überzeugter Atheist muss ich seiner Haltung und Überzeugung hohe Anerkennung zollen. Wenn auch sein Denken und Handeln nicht immer bruchfrei war, so war Ernesto Cardenal doch ein Revolutionär, der klarer und deutlicher als viele erklärte Linke das aussprach, was wesentlich war: die Notwendigkeit, das kapitalistische System zu überwinden und die praktische Solidarität mit den Unterdrückten und Ausgebeuteten. Und er verhielt sich auch danach.
Viele (jüngere) Linke kennen seinen Namen kaum noch, winken ab, wenn sie etwas von Theologie der Befreiung hören, oder verweisen darauf, dass er ja eigentlich ein katholischer Priester war. Ja, sachlich ist letzteres richtig. Aber die wenigsten haben seine Bücher gelesen oder kennen sein poetisches Werk. Sie täten gut daran, sich damit zu beschäftigen, bevor sie sich dazu äußern. Er war ein besonderer Mensch, der mehr Revolutionär war, als viele von ihnen es je sein werden.
Möge die Erde dir leicht sein. *Adiós Ernesto.
*Frente Sandinista de Liberación Nacional (Nationale sandinistische Befreiungsfront)