Scherz, Satire, Wahnsinn, Kapitalismus und tiefere Bedeutung
Gedanken zu den 10 „Fakten zur Armut in Deutschland“ der „Initiative Freie Soziale Marktwirtschaft“
Nach den Gedanken zu der Resolution der Vollversammlung der IHK zu Essen in Sachen TTIP in der Avanti O. Nummer 8 vom April 2015 wird hier nun wieder ein neues neoliberales Meisterwerk der unfreiwilligen Satire behandelt.
Ernst Kochanowski
Kurz nach dem Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hat die o. g. Initiative „IFSM“, welche Freiheit und Soziales lediglich ihrer Klasse, also den Reichen und Herrschenden, zugesteht, hier nun die ganze ungeschminkte Wahrheit ans Licht geholt und in 10 knallharten Fakten dargestellt.
Dummerweise wurde diese Broschüre lediglich mit Binsenweisheiten und Allgemeinplätzen gefüllt. Waren da Hans Werner Sinn und sein Ifo-Institut beteiligt? Oder kann man sich bei der neoliberalen Wissensvermittlungsstiftung nicht so weit in die Massen hineindenken, ihnen so etwas wie Intelligenz zutrauen? Aber es ist auch ganz schön schwer, neoliberale „Wahrheiten“ zu verbreiten, wenn das schnöde Leben diese mit Wirklichkeit kontert.
Schon im Vorwort wird, nachdem nicht ganz zu Unrecht der Begriff Armut hinterfragt wird, behauptet, dass jeder sechste Einkommensarme über Vermögen verfügt, mit dem er zehn Jahre seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Hier in Oberhausen mit den günstigen Mietpreisen wären dies also vielleicht 120.000,00 €. In Städten wie München aber wäre damit grade mal die Miete zu bezahlen. Das bedeutete also, so um die 17 % der Armen verfügten über bis zu 200.000,00 € an Sach- und Geldvermögen. Da wüsste man doch gern, wie diese Behauptung zustande kommt. Vermutlich war das Ergebnis „Armut weitgehend ein Phantasieprodukt“ einfach zu schön.
Ganz platt wird es aber bei den „Fakten“. Zum Beispiel die Erkenntnisse im Fakt 2, vor allem Arbeitslose seien armutsgefährdet. Wer käme da nicht selber drauf?
Oder Fakt 2: „Qualifizierung beugt Armut vor“.
Nur ein paar Berichte der letzten Monate aus diversen Zeitungen über Stellenabbau: General Electric, Bombardier, XXXL Lutz, Gerry Weber haben vor, zusammen genommen Zehntausende zu entlassen. Jede Leserin, jeder Leser kann diese Liste bestimmt ohne große Mühen fortsetzen. Alles unqualifizierte Menschen? Und was ist mit denen, welche sich in die Frührente malocht haben und ihr Restleben auch nicht gerade mit Geldzählen sondern eher mit Pfennigumdrehen verbringen müssen?
Und dann sind wir auch gleich beim Fakt 4: „Umverteilen in Deutschland ist erfolgreich“. Endlich die Wahrheit? Weil die Politik nämlich dafür gesorgt hat, dass die Reichen endlich richtig Steuern zahlen müssen und ihr Überfluss so auf die Allgemeinheit verteilt wird? „Die staatliche Umverteilung macht die Einkommen nicht nur gleicher, sie wirkt auch stärker als in anderen Ländern“. So steht es in der Broschüre. Das reale Leben bleibt, wie oben schon versprochen, weiter außen vor. Abgesehen davon, dass „gleicher“ sowieso Quatsch ist, was ist eigentlich damit gemeint? Krupp und Krause gleich? Oder aktueller: XXXL und deren Beschäftigte?
Nicht soviel nachdenken, denn gleich geht’s weiter: „Vollzeitbeschäftigung sichert Lebensunterhalt“. Tcha, liebe Freigestellte, Betriebsschließungs-, Rationalisierungs- und Optimierungsopfer, hättet ihr doch nicht diesen Weg gewählt. Jetzt seid ihr nicht nur arm dran, sondern werdet auch noch von den neoliberalen Marktwirtschaftlern verarscht!
Aber noch ist diese Zumutung nicht zu Ende. Fakt 7 heißt: „Vermögen schützt viele vor Altersarmut“. Reichtum schützt vor Armut oder was? Wer kommt denn auf dieses schmale Brett? Jetzt versteht endlich der verstockteste Arbeiter, dass der Direktor sich nicht bereichern, sondern nur der Altersarmut ein Schnippchen schlagen will.
Wer allerdings glaubte, wenn man in einer Partnerschaft lebt und gar Kinder hat, ist der Euro nur mehr die Hälfte wert, es also nix ist mit der Vermögensbildung, dem sagt die Neue Soziale Marktwirtschaft: „Der Trend zu Singlehaushalten erhöht die Armut“ (Fakt 8).
Also dann doch lieber den „Minderleister“ rauskehren und Hartz IV beantragen? „Den Ärmsten geht es seit Hartz IV besser“ (Fakt 9). „Heute ist ein Festtag für alle Arbeitslosen!“ So Peter Hartz am Tag des Inkrafttretens der nach ihm benannten Anleitung zur Enteignung der, ich wiederhole mich, Freigestellten, Betriebsschließungs-, Rationalisierungs- und Optimierungsopfer, Erwerbslosen und Rentner. Vor Allem aber den Frauen aus diesen Gruppen. Das Schonvermögen reicht ganz gewiss auch in Oberhausen nicht für zehn Jahre (s. o.). Bei Weitem nicht!
Endlich kommen wir zum letzten Fakt: „Armut gibt es vor allem in den Städten“. Das ist doch einfach zu lösen. Wir Armen ziehen einfach alle aufs Land und lassen die Armut in der Stadt. Sollen doch die Reichen damit glücklich werden, genau so wie mit der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ INSM.