Geld kann nicht schöner werden, nur mehr
(Diesen Artikel habe ich vor 31 Jahren zur damaligen Debatte über Umweltkrise, Kapitalismus, Öko-Steuern und dergleichen geschrieben. Mir scheint er ist – abgesehen von ein paar zeitlich bedingten Dingen – so gibt es ja die Sowjetunion nicht mehr – immer noch sehr aktuell. Schaut selber).
Die Seite 530 des 1. Bandes der MEW-Ausgabe des „Kapital“ hat in der Diskussion unter Sozialisten und Sozialistinnen seit einigen Jahren Hochkonjunktur. Erwähnt doch dort Marx, dass der Kapitalismus im Zuge seiner Entwicklung beide Springquellen des Reichtums, die Arbeiter und die Erde, systematisch untergräbt und zerstört. Die kapitalistische Produktionsweise hinterlässt eine Spur der Zerstörung auf all jenen Gebieten, die sie nicht dem Kapitalisierungs- und Verwertungsprozess unmittelbar unterwerfen kann. Dinge, die keinen Wert haben — natürliche Ressourcen, Qualität der menschlichen Beziehungen, Klima usw. — werden als „externe Faktoren“ eingestuft und tauchen als gesellschaftliche Voraussetzungen und Folgen der Produktion erst dann auf, wenn Geld für die Reparatur bereitgestellt werden muss. Und die Dinge, die kapitalistisch verwertbar sind, werden gradlinig für die Waren-und Marktwirtschaft zurechtgeformt und ausgebeutet.
Auf der Ebene der empirischen Fakten ist dies unbestreitbar und spätestens seit dem Beginn der 70er Jahre kann dazu auf Berichte von bürgerlichen Institutionen selbst zurückgegriffen werden (Bericht des Club of Rome, Global 2000, Bericht der Brundtland-Kommission, diverse Studien von UN-Organisationen). Der Haupttrend diesbezüglicher Forschung ist erstens pessimistisch und zweitens mit der einfachen Formel wiedergegeben, die im Vorwort zur deutschen Ausgabe des jüngsten Reports vom Worldwatch Institute zu lesen ist: „Mit ‚Global 2000‘ ist allen, die es wissen wollten, deutlich geworden, dass wir unsere Erde systematisch zugrunde richten.“ Die weltumspannende kapitalistische Marktwirtschaft ist also selbst in den Augen ihrer grundsätzlichen Befürworter*innen und trotz gigantischer Entwicklung der Produktivkräfte nicht in der Lage, der Menschheit das versprochene Glück zu verschaffen. Dies gilt vorrangig für die elementaren Bedürfnisse des Überlebens: Obwohl weltweit soviel Getreide produziert wird, dass jeder Mensch täglich 2 Kilogramm oder 3000 Kalorien haben könnte, ist eine Milliarde Menschen, davon die Hälfte akut, vom Hungertod bedroht.
Obwohl zurzeit ungefähr 70.000 Chemikalien produziert und verkauft werden und jährlich 500 bis 1.000 hinzukommen, verschlechtert sich die gesundheitliche und hygienische Versorgung für fast zwei Drittel der Bevölkerung. Und das letzte Drittel wird mit neuen Todesursachen nicht fertig (Krebserkrankungen, Herz- und Kreislaufkrankheiten Unfälle). Gleichzeitig werden die elementaren Medien des Lebens — Luft, Wasser, Boden beschleunigt vergiftet, zerstört und aus dem Gleichgewicht gebracht, mit großen Auswirkungen auf das Klima, auf die Nutzbarkeit für menschliches Leben.
Werden noch Armut, Analphabetentum, soziale Entwurzelung und Kriege hinzugenommen, so ist die Bilanz der kapitalistischen Produktionsweise trotz der gleichzeitig aufgehäuften gigantischen Reichtümer und Produktivkräfte für den größten Teil der Menschen verheerend. Der Wohlstand für die Bevölkerung im „reichen“ Teil der Welt darf über diese Gesamtentwicklung nicht hinwegtäuschen.
Es mag der Einwand kommen, dass die Entwicklung des Teils der Welt, der sich der vollständigen Beherrschung durch den Kapitalismus entzogen hat, bezüglich der Umweltzerstörung nicht viel besser ausfällt. Das mildert aber keineswegs das beschriebene Bild. Hier sei nur angeführt — vorbehaltlich einer gesonderten Untersuchung über diese Länder — dass alle „sozialistischen“ Versuche in Ländern großer Rückständigkeit in der Produktivkraftentwicklung gestartet wurden; dass sie systematisch Angriffen der kapitalistischen Mächte ausgesetzt sind; dass ihre eigene Entwicklung von politischen Kräften dominiert wird, die aus politischen Gründen der Entwicklungslogik des Kapitalismus nacheifern; dass ihre Abhängigkeit vom kapitalistischen Weltmarkt weitgehend ungebrochen ist. Dennoch ist das Ergebnis dieser bürokratisch verzerrten und isolierten Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft bezüglich der Grundversorgung der Menschen immer noch erfolgreicher als die kapitalistische Welt. Was eine Kritik dieser „sozialistischen“ Gesellschaften natürlich nicht überflüssig macht — im Gegenteil.
Die Erde ist endlich
Die Gründe für die Zerstörung der Erde durch die kapitalistische Produktionsweise müssen in ihrer allgemeinen Wirkungsweise genauer untersucht werden.
Naturwissenschaftlich betrachtet ist der gesellschaftliche Produktionsprozess nichts anderes als ein Prozess von Energie- und Stoffumwandlungen, der den Naturgesetzen unterworfen ist. Energie und Materie können in diesem Sinne nicht produziert, sondern eben nur umverteilt und umgewandelt werden.
Auch wenn die Erde kein geschlossenes System ist, in dem die thermodynamischen Gesetze unmittelbar gelten, so ist doch richtig, dass alle Prozesse der Energie- und Stoffumwandlung letztlich höherer Entropie zustreben, also dem Zustand der ungeordneten Gleichverteilung von Energie und Materie. Das Gegenteil, die geordnete Ungleichverteilung ist naturwissenschaftlich gesehen die Basis für die menschliche Produktion, für die Differenzierung in „Rohstoffe“, Energiepotenziale und allgemein für die Entstehung von Gebrauchswerten. Diese Prozesse der Entropiesteigerung sind irreversibel und prinzipiell endlich. Die Vorstellung, eine Gesellschaft produziere ähnlich einem perpetuum mobile ununterbrochen Reichtümer, ist also ein Irrtum und auch eine sozialistische Planwirtschaft kann sich den Naturgesetzen nicht entziehen.
Das „Ende der Welt“ mag noch in unvorstellbarer Ferne liegen, dennoch sind die Eingriffe. der gesellschaftlichen Produktion in die vorgefundene Verteilung von Energie und Materie enorm. 95 Prozent der lebenden Masse auf der Erde setzt sich aus den sechs Elementen Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff, Phosphor und Schwefel zusammen. Durch Verbrennungsprozesse wurden seit 1860 rund 185 Milliarden Tonnen Kohlenstoff freigesetzt und die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre um 30 Prozent erhöht. •Der jährliche Kreislauf an Stickoxiden und Schwefel aus natürlichen Prozessen wurde durch die gesellschaftliche Produktion verdoppelt. Die akribischen „Rechnungen“ in „Global 2000″ und ähnlichen Studien über den Abbau natürlicher Ressourcen (fossile Brennstoffe, Süßwasser usw.) enthüllen zwar teilweise lange „Nutzungszeiten“ — angesichts der Milliarden Jahre, die zu ihrer Entstehung führten, jedoch verschwindend kurze Zeiträume.
Vorkapitalistische Produktionsweisen beruhten auf der Produktion und dem Austausch von Gebrauchswerten Der gesellschaftlich produzierte Reichtum, genauer das Mehrprodukt über das zur Reproduktion notwendige Maß hinaus, wuchs nur langsam. Seine Produktion und Aneignung durch die herrschenden Klassen hatte die durch den persönlichen Konsum gesetzten engen Grenzen. Erst die kapitalistische Produktionsweise, die Werte für einen Markt produziert und wo das Ziel des Austausches nicht nur Konsum, sondern Akkumulation ist, führte zu dem gigantischen Wachstum der Produktion. Die Eingriffe in die Natur, der zweiten Quelle der Reichtümer, wuchsen und beschleunigten sich.
Es ist nur die Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, die sich geändert hat. Das Naturgesetz, dass der Input an Energie und Materie gleich (oder genauer: größer, wegen notwendiger Prozessverluste, die sich meist als ungenutzte Wärme ergeben) dem Output ist, hat der Kapitalismus nicht durchbrochen. Es ist Marx‘ Verdienst, das „Geheimnis– dieses Produktionsprozesses gelüftet zu haben, der zugleich Arbeits- und Verwertungsprozess ist. Im Arbeitsprozess vollziehen sieh die Energie- und Stoffumwandlungen unter Ausnutzung der menschlichen. Arbeitskraft. lm Verwertungsprozess eignet sich der Produktionsmittelbesitzer die Mehrarbeit an, die die Arbeiter über die für ihre Reproduktion notwendige Zeit hinaus gearbeitet haben. Voraussetzung ist, dass die Arbeitskraft als Ware auf dem Markt erscheint und somit einen Wert hat, der in Form des Lohnes in Geld ausgedrückt werden kann; die Mehr-Arbeitszeit also in Form des Mehrwertes auftaucht. Der Sinn der Operation ist immer der, ein vorgeschossenes Kapital zu verwerten, sich den durch die Lohnarbeit erzeugten Mehrwert anzueignen und letztlich einen Überschuss, einen Profit zu verwirklichen. Die Konkurrenz unter den Produktionsmittelbesitzern um einen abstrakt „freien“, weil anonymen, aber konkret heiß umkämpften Markt, treibt zur ständigen Akkumulation und Produktion auf höherer Stufe.
Die Produktion von Tauschwerten kennt nur Quantitäten, nur in Geld ausdrückbare Größen, wobei Geld bekanntlich nicht schöner, sondern nur mehr werden kann. „Dabei ist bedeutsam, dass die quantitative Verwertungslogik des Kapitals in der Ökonomie im Zuge der Entwicklung immer mehr von der qualitativen Begrenztheit des Gebrauchswertes abstrahiert, ja ihre Erfüllung gerade darin finden muss, alle der quantitativen Wertsteigerung (Profit und Akkumulation) sich widersetzenden Kräfte technologisch zu überwinden, ökonomisch zu externalisieren, sozial zu marginalisieren und politisch zu reprimieren.“ (E. Altvater: L.ebensgrundlage (Natur) und Lebensunterhalt (Arbeit)).
Für die Entwicklung der Produktivkräfte und für das Verhältnis zu den natürlichen Ressourcen hat das gravierende Folgen. Die Entwicklung der Produktivkräfte selbst wird vollständig den Erfordernissen der besseren Ausbeutung der Arbeitskraft und der Steigerung der Warenproduktion untergeordnet. Die Natur erscheint nur als potenziell verwertbare Ressource. Dazu wird sie tendenziell immer mehr parzelliert und rücksichtslos ausgeplündert. Die Einbettung der natürlichen Ressourcen in gewachsene Zusammenhänge, natürliche Gesetzmäßigkeiten können nur insofern berücksichtigt werden, als Kosten für Erschließung und Ausbeutung ermittelt werden können.
Der kapitalistische Produktionsprozess wird dabei als reversibler, sich ständig wiederholender Vorgang angelegt. Vorgeschossenes Kapital soll sich nach möglichst kurzer Zeit durch einen Profit vergrößert haben, damit die Sache von vorn beginnen kann. Dies muss in prinzipiellen Widerspruch zu den irreversiblen Prozessen der Energie- und Stoffumwandlung geraten, die im eigentlichen Arbeitsprozess ablaufen. Der Natur wird eine ihr fremde Logik aufgezwungen. Ein Wald, wird in kürzester Zeit abgeholzt, zur Wiederaufforstung werden schnellwachsende, eingeführte Arten gepflanzt und andere Arten ausgemerzt. Eine Mine wird ausgebeutet und als Landschaftsruine zurückgelassen. Das Kapital entwickelt ein eigenes „Zeitregime“ (Altvater), das im Gegensatz zu den Zeitläufen der Natur gerät. Das gleiche gilt für den Raum. Der Raum für das Kapital wird durch die Eckpunkte ‚Kauf der Ware Arbeitskraft und der Produktionsmittel‘, ‚Produktion des Mehrwertes‘ und ‘Verkauf auf dem Markt‘ bestimmt. Natürliche Räume werden so auf Straßen, Eisenbahnen, Flughäfen, Kanäle, Gebäude usw. reduziert. Als Biotope ebenso wie als historische Stätten sind sie unwichtig,
Die Entwicklung des Kapitalismus zum Weltsystem, in dem das Kapital für einen Weltmarkt produzieren lässt, führt zudem noch zu dem Diktat des Zeit- und Raumregimes des weltbeherrschenden Kapitals über alle anderen Formen der menschlichen Gesellschaft, über sogenannte „unterentwickelte“ Produktionen, über alte gewachsene Kulturen usw.
Die Entwicklungslogik der kapitalistischen Produktion, der daraus entstehende Fortschrittsbegriff wird demnach zwangsläufig in wachsenden Konflikt mit der Natur kommen. Ist der Mensch zwar Teil der Natur, aber in jeder sozialen Gemeinschaft auch ihr Ausbeuter, so gerät er unter der spezifisch kapitalistischen Form des Produktionsprozesses zu ihrem Feind und Zerstörer.
Die Rationalität des Kapitals ist also bereits in ihrem konkreten Auftreten bei einem Einzelkapital widersprüchlich zur Natur. Für die Gesamtheit der kapitalistischen Gesellschaft kommt noch ein größerer Widerspruch hinzu. Im Kapitalismus verfolgen miteinander konkurrierende Kapitale ihren jeweiligen Weg zur Verwertung und Erzielung eines Profites. Dabei ist diese Operation durch Plan, Rationalität und Wissenschaftlichkeit, bezogen auf den konkreten Zweck, gekennzeichnet. Bezogen auf die Gesamtheit des gesellschaftlichen Lebens ist dies in der Regel jedoch höchst irrational. Den Kohlegrubenbesitzer interessiert es buchstäblich einen Dreck, dass er die Landschaft zerstört; den Aluminiumfabrikanten, dass er den Boden mit Arsen verseucht; den Agrarindustriellen, dass er das Grundwasser mit Nitrat vergiftet usw. Für den volkswirtschaftlichen Gesamtschaden muss in irgendeiner Weise die Gesellschaft aufkommen: durch Geld, durch verlorene Gesundheit und irreversible Naturschäden.
Kosten für solche Folgen der kapitalistischen Produktion sind „externe Effekte“, die weder in der Rechnung der Einzelkapitale noch in der diese rechtfertigenden bürgerlichen Ökonomielehre auftauchen. So ist es bereits Normalfall, dass ein Kapital die Natur zerstört und ein anderes an der Reparatur oder an den Folgen der Zerstörung recht ordentlich verdient, während beide das Bruttosozialprodukt steigern.
Kapitalismus und Umwelt, (herrschende) Ökonomie und Ökologie, das sind also zwei (miteinander verbundene und sich verstärkende) Widersprüche: der Widerspruch zwischen der partiellen Rationalität der Mehrwertproduktion und der Irrationalität des kapitalistischen Gesamtsystems und der Widerspruch zwischen der kapitalistischen Rationalität und der Gesamtentwicklung der Natur.
Die marxistische Kritik der kapitalistischen Ökonomie formuliert als charakteristisches Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft den Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit und dem privaten Charakter der Aneignung. Während einerseits ein wachsender Teil der menschlichen Arbeitskraft dem Kapital nicht nur formal als Lohnarbeit, sondern „reell“ subsumiert wird, womit Marx den Prozess der inhaltlichen Unterordnung der Arbeit unter den spezifisch kapitalistischen Weg der Produktivkraftentwicklung meint, bleibt andererseits das Ziel der Produktion die Aneignung des Mehrwertes durch das Kapital, hinter dem eine kleine Minderheit der Bevölkerung steht.
Wobei anzumerken ist, dass sich der gesellschaftliche Charakter der Arbeit nicht unmittelbar im Sinne eines Planes beweist, sondern nur vermittelt über einen Markt, auf den bereits produzierte Waren erst einmal abgesetzt werden müssen. Darin sind eine immense Vergeudung und periodische Überproduktion angelegt, die selber große ökologische Auswirkungen haben. Bestes Beispiel ist die Überschussnahrungsmittelproduktion während gleichzeitig ein großer Teil der Menschheit hungert. Es ist dies ein dem Verwertungsprozess innewohnender Widerspruch.
Die Kritik der Umweltschutzbewegung — und darin sowohl der sogenannte fundamentale, ökologistische Teil, als auch der linke oder sozialistische — hat heute den Widerspruch zwischen dem stofflichen Teil des Produktionsprozesses, dem eigentlichen Arbeitsprozess, und der Entwicklung der natürlichen Ressourcen in die Diskussion gebracht. Das Kapital muss, weil nur vom Verwertungsinteresse geleitet, den qualitativen Aspekt der Produktion vernachlässigen. Auch diese „Subsumtion“ der Natur ist nicht nur formal im Sinne der Verwandlung in Waren, sondern „reell“ im Sinne der „ökonomischen Zurichtung“ (Altvater) der Natur, der Aufteilung in verwertbare und nicht verwertbare Teile, kurz: im Sinne der von bürgerlicher Seite als Errungenschaft vorgetragenen „Siege“ über die Natur. Es ist dies ein dem Arbeitsprozess innewohnender Widerspruch.
Es war bereits Friedrich Engels, der bemerkte: „Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unseren menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat zwar in erster Linie die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andere unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben,“ Und weiter: „Und in der Tat lernen wir mit jedem Tag ihre Gesetze richtiger verstehen und die näheren und entfernteren Nachwirkungen unserer Eingriffe in den herkömmlichen Gang der Natur erkennen. Namentlich seit den gewaltigen Fortschritten der Naturwissenschaft … werden wir mehr und mehr in den Stand gesetzt, auch die entfernteren Nachwirkungen wenigstens unserer gewöhnlichsten Produktionshandlungen kennen und damit beherrschen zu lernen.“ Was Engels übersah ist, dass die „gewaltigen Fortschritte“ allenfalls als Nebenprodukt die „Nachwirkungen“ erkennen, messen und vor allem vorhersehen können. Hauptinhalt und Funktion dieser kapitalistischen Natureroberung ist die weitere „Verwertung“. Die „Entfernung“ der Nachwirkungen wächst — beispielhaft dafür der Bau von Atomkraftwerken für ungefähr 25 Jahre Betriebsdauer und die Nachwirkung von Atommüll für 25.000 Jahre. Die Zahl der Anwendungen neuer Erkenntnisse übersteigt zunehmend die Zahl der Erkenntnisse über mögliche Folgen — beispielhaft dafür die 70.000 und täglich vermehrten Chemikalien, von denen nur wenige Tausend auf nur wenige mögliche Konsequenzen untersucht sind. Und Engels übersah auch, dass das Kapital einen spezifischen, nach Zeit und Raum seiner Verwertungslogik ausgerichteten Blick für die Natur entwickelt. Für den Rest der Natur bleibt es blind und wirkt direkt zerstörerisch — beispielhaft dafür die Tatsache, dass allein in der BRD jeden Tag gut 100 Hektar Land neu mit Straßen, Gebäuden usw. überbaut werden.
Weil nicht Thema dieses Beitrages, sei nur am Rande erwähnt, dass sich die prinzipiell gegen das Kapital gerichtete Arbeiterbewegung nur wenig mit den Aspekten der Umweltzerstörung durch die kapitalistische Produktion beschäftigt hat. Das liegt im Wesentlichen daran, dass sie die meiste Zeit viel näher liegende Themen hat: Existenzsorgen, unmenschliche Arbeitsbedingungen am Ort der Produktion und vor allem der Kampf gegen die unmittelbare Lebensvernichtung durch Krieg. Auch heute sind dies in großen Teilen der Welt die bestimmenden Kämpfe. Das liegt auch an der erst in den letzten Jahrzehnten gewachsenen Erkenntnis der Naturzerstörung.
Das liegt aber auch daran, dass die bestimmenden Teile der Arbeiterbewegung keine Notwendigkeit sahen, den „Fortschrittsbegriff“ des Kapitals, die Aspekte des stofflichen Charakters des Produktionsprozesses zu problematisieren. Die großen reformistischen Parteien und Gewerkschaften hatten aufgehört, die Herrschaft des Kapitals außerhalb ihrer Sonntagsreden in Frage zu stellen. Sie versprachen sich durch fortschreitende Investitionen und Wachstum bessere Chancen für ihren Kampf um einen höheren Anteil am gesteigerten Reichtum für die Arbeiterklasse. Die revolutionären Regimes in der Sowjetunion, wie später in China, Kuba und heute Nikaragua wurden bzw. werden erdrückt durch elementare ökonomische Notwendigkeiten und Angriffe von außen. Die heutigen bürokratischen Arbeiterstaaten mit zentraler Planwirtschaft bedienen sich beinahe karikierend der Logik der Quantitäten bezüglich der Wirtschaftsentwicklung. Die starre bürokratische Herrschaft lässt sich damit leichter absichern, weil unbefriedigte Bedürfnisse der Menschen in einem Wettkampf der Systeme“ kanalisiert werden können. Qualitative Planung und Befriedigung der umfassenden Bedürfnisse der Menschen setzen ein Höchstmaß an demokratischen Freiheiten und Willensbildung von unten nach oben voraus.
Die Menschen sind schuld
Der beschleunigte Marsch in die ökologische Katastrophe bringt eine Fülle von Erklärungs- und Lösungsvorschlägen hervor. Sie sind sozusagen Teil der Krise (und einige Politiker*innen, Autor*innen, Verlage usw. leben nicht schlecht davon). Die bürgerliche Wissenschaft bevorzugt den „methodischen Individualismus“. Hier sollen nicht die biologischen Erklärungen diskutiert werden, wie sie zum Beispiel Konrad Lorenz oder H. von Ditfurth verbreiten, nach deren Auffassung die biologische, evolutionsbedingte Struktur des Menschen diesen grundsätzlich zum naturfeindlichen Handeln bringt.
In dieser fatalistischen Grundhaltung steckt höchstens eine bedenkenswerte Anregung, wenn wir uns mit der „orthodoxen“ Vorstellung auseinandersetzen, eine klassenlose, sozialistische Gesellschaft mit gebrauchswert-produzierender, geplanter Ökonomie wäre automatisch eine mit den „Naturkreisläufen“ im Einklang befindliche „Kreislaufgesellschaft“. Diesen Einklang und diesen Automatismus wird es nicht geben. Die Formel aus einem Ökologie-Buch der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, „Im Sozialismus werden die Menschen die Herren (sic) der Natur“, hat deshalb beinahe ähnlich fatalistischen Wert. Vielmehr ist zu jeder Zeit, in jeder Form der menschlichen Gesellschaft ein hohes Maß an „systemischer Intelligenz“ erforderlich, um die Herausforderungen der Natur und der gesellschaftlichen Produktion rational zu bestehen. Die Population von fünf oder noch mehr Milliarden Menschen wird in jedem Fall ein gravierend in die Natur eingreifender, gestaltender und in diesem Sinne „störender“ Faktor sein.
Ob jedoch die heutige Form der Gesellschaftsorganisation mit ihrer Zersplitterung in die Teilrationalitäten der Kapitale, der Nationalstaaten, der Märkte (die Ditfurth zum Beispiel als „konkurrenzloses Modell“ ansieht), die im Widerspruch zur Rationalität des Ganzen stehen, notwendig, unvergänglich oder änderbar ist, darum geht die Debatte.
Die dümmste, aber hartnäckigste „Erklärung“ für die Umweltkrise aus ökonomischer Ecke passt zur biologischen Misanthropie, Die „Verbraucher“ seien schuld. Sie würden schließlich nach Autos, Plastikverpackungen, Einwegflaschen und allem, was es sonst noch so gibt, verlangen. Es gibt in diesem Verständnis deshalb die Schlussfolgerung, die Umweltkrise durch Verbraucheränderung zu beheben. Kurt Biedenkopf, der sich gern „CDU-Vordenker“ nennen lässt, beteuert: „Marktwirtschaftlicher Umweltschutz bedeutet marktwirtschaftliche Neuorientierung von Kaufkraft zugunsten der Umwelt und zu Lasten bisher befriedigter Individualbedürfnisse“ . Oder seine Parteikollegin Birgit Breuel wünscht sich „Mechanismen, mit denen die Bürger und die Unternehmen aus Eigeninteresse umweltfreundlich handeln“.
Der Versuch, die Individuen zum „öko-gerechten“ Verhalten zu- formen, blüht am schönsten in den Reihen der engagierten Umweltschützer*innen. Es gibt mittlerweile einen endlosen Katalog darüber, was nicht getan, nicht gekauft, nicht gegessen und nicht angezogen werden darf. Jüngst fand in Berlin ein Kongress von „Öko-Wissenschaftler*innen“ über den „umweltgerechten Konsum“ statt. Sein Fazit war ernüchternd. Die Vermeidung der Umweltzerstörung durch individuellen Kraftakt der Verbraucher scheitert bereits im Ansatz. Die oberflächliche Erklärung dafür gab der Soziologe Helmut Wiesenthal: Der „ökologische Konsum bleibt ein Allgemeininteresse ohne Mobilisierungskraft“, „da alle potenziell Beteiligten in rationalen Überlegungen zu dem Schluss gelangen, ihr Beitrag sei entweder vergeblich oder überflüssig, ist das Ergebnis rationale Passivität.“ Wenn keiner mitmacht, braucht es der Einzelne auch nicht; wenn alle mitmachen, kann der Einzelne ruhig ausscheren. Das entspricht der gewollten oder ungewollten Karikatur vom Tempo 100 auf Autobahnen — eine Maßnahme, die nach jüngsten Schätzungen sofort 26 Millionen Tonnen weniger Emissionen pro Jahr ergäbe — die der selige Franz-Josef Strauß seinerzeit für die „Bild-Zeitung“ gab: „Ich habe Tempo 100 getestet“, frohlockte er, um dann von Hupen, Vogelzeigen und lebensgefährlichen Manövern der Mitfahrer*innen zu berichten.
Doch diese Erklärung des „ökologischen Konsums“ als Lernprozess mit tödlichem Ausgang ist nur oberflächlich. Dahinter steht die Tatsache, dass im Kapitalismus die Verbraucher*innen das letzte Glied der Kette im Produktionsprozess sind. Gleichzeitig sind sie als Arbeitskraft in die Teilrationalität der Kapitalverwertung einbezogen, entwickeln also ein Eigeninteresse an dem Erhalt „ihres“ Betriebes, auch wenn er die Umwelt beschädigt oder schädliche Produkte erzeugt.
Neben diesen direkten Beziehungen sind im Kapitalismus die Bedürfnisse vollständig deformiert, oder wie Marx ausführt: „Nicht nur der Gegenstand der Konsumtion, sondern auch die Weise der Konsumtion, wird daher durch die Weise der Produktion produziert, nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv. Die Produktion schafft auch den Konsumenten.“ Die Entfremdung der Menschen von ihrer eigenen Arbeit und deren Produkten führt zu dem zynischen Verhältnis gegenüber der Natur und selbst gegenüber dem eigenen Körper. Der Ausstieg aus dem vom Kapital diktierten Konsum ist demnach genauso schwer individuell zu bewerkstelligen wie der individuelle Ausstieg aus der Produktion.
Die umfangreiche Produktkritik und die Aufklärung, sich umweltfreundlich zu verhalten, sind aber trotzdem nicht zu verdammen. Sie zeigen bescheiden an, was alles möglich wäre. Eine Bewältigung der Umweltkrise ist damit jedoch kaum zu erreichen.
Ökologische Marktwirtschaft
Es müssen also die „institutionellen Rahmenbedingungen“ — so das Fazit des erwähnten Konsumkongresses —geändert werden. Auch da bietet die Marktwirtschaft eine Reihe von Vorschlägen an.
Zunächst entsteht die simple Idee, die Reparatur der Umwelt zu einem neuen Geschäft zu machen. „Wo ein neues Bedürfnis entsteht, erkannt und befriedigt wird, bildet sich ein neuer Markt“, erklärt der Leiter der Forschungsgruppe Umweltökonomie beim Ifo-Institut, R. Sprenger. Der Markt ist sicher gewaltig. Nach Schätzungen des Direktors am Umweltbundesamt, L. Wicke, auch ein strenger Marktwirtschaftler aus den Reihen der CDU, entsteht jährlich ein Umweltschaden von 100 Milliarden Mark. (Dem stellen andere Rechnungen jährliche Ausgaben der Industrie von 50 Milliarden entgegen, die aufgrund von Auflagen und EG-Verordnungen für den Umweltschutz notwendig seien.) Wird das mit dem „Bedürfnis“ ernst genommen, so sollten wir darüber froh sein und hoffen, dass der Markt ein ewiger ist. Wir bezweifeln jedoch zuerst die 100 Milliarden.
Wenn schon die Umweltzerstörung quantifiziert wird, ist eine höhere Größenordnung angesagt, Das Umweltbundesamt schätzt zum Beispiel den Vermögenswert des deutschen Waldes (auch so etwas wird in Geld ausgedrückt!) auf 200 Milliarden Mark. Gleichzeitig ist die Hälfte davon krank und am Sterben. Allein der jährliche Schaden durch Luftverschmutzung wird auf 40-70 Milliarden geschätzt. Für die Nordsee wird ein Sanierungsprogramm von 20 Milliarden gefordert, für die Sanierung der sogenannten Alt-Mülldeponien mindestens 17 Milliarden, für Gewässerschutz 30, für Luftreinhaltung 16, für Lärmschutz 8, für Abfallbeseitigung 10, für Energiesparmaßnahmen und Fernwärme 165, für Verkehrsberuhigung und Radwege 100 und für Wohnungsbau und Dorferneuerung 285 Milliarden Mark (Zahlen vom hessischen Umweltministerium 1983 aus einem der vielen aktuellen Umweltschutzkataloge). Selbst wenn dafür eine Laufzeit von mehreren Jahren angenommen wird, ist das Volumen gewaltig und viele Maßnahmen fehlen noch (Chemie-Entgiftung, Bodensanierung, Programme gegen Suchtkrankheiten, Veränderungen im Arbeitsprozess der Betriebe usw.).
Der Markt wäre also da, das „Bedürfnis“ ist überreif. Kapital fließt aber nur in diese Bereiche, wenn dort ein akzeptabler Profit zu erwarten ist. Trotz der schönen Formulierungen vom „Umweltschutz als Zukunftsindustrie“, die besonders SPD und Gewerkschaften vortragen, ist der Profit anderswo jedoch größer und sicherer, und zurzeit sind für 800 Milliarden Mark Spekulation und Geldgeschäfte immer noch die „bessere Alternative“.
Es gibt keinen anderen Grund als die Profite der Unternehmer, dass weiterhin nahezu unvermindert Fluorchlorkohlenwasserstoffe, die die Ozonschicht der Atmosphäre zerstören, Formaldehyd, das Krebs erzeugt, Asbest, das die Lungen zerfrisst und die vielen anderen Umweltgifte produziert werden; dass Straßen gebaut, Wälder abgeholzt, Großkraftwerke installiert und dass Suchtmittel wie alkoholische Getränke und Tabakwaren produziert werden. Die realen ökonomischen Relationen und die Interessen aller großen Konzerne verlegen den Umweltschutz als Markt ins Unbedeutende.
Im Übrigen gehen die Umweltschutzinvestitionen zurück. Sie hatten ihren Höhepunkt Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre, seitdem sinkt die Kurve. Nach einer Studie der OECD ist dies in allen großen kapitalistischen Staaten der Fall, besonders krass in den USA unter Reagan, und betrifft sowohl Ausgaben der Unternehmen als auch der öffentlichen Haushalte. Nach einer anderen, BRD bezogenen Studie, wird 1986/87 als Hochpunkt ausgegeben.
Interessant ist auch, was für ein Umweltschutz durch den Markt gefördert wird. Es sind nur der sogenannte „nachsorgende Umweltschutz“ oder die „end-of-the-pipe-Technologien“. 75 Prozent der Umweltschutzinvestitionen fallen in diesen Bereich. Das beginnt bei den hohen Fabrikschornsteinen, die vor langer Zeit den Himmel über der Ruhr wieder blau machen sollten (Willy Brandts Wahlkampfschlager 1961), den Dreck jedoch nur etwas weiter wegbliesen und findet heute im Katalysator am Ende der Auspuffrohre der Automobile seine Fortsetzung. Rauchgasentschwefelung, Müllverbrennung, Filtertechnik und all die schönen Dinge von den Umweltmessen gehören zu diesem Reparatur- und Nachsorgemarkt. Die wirksamen Maßnahmen im Bereich der Vorsorge, wie zum Beispiel Müllvermeidung, Produktionsumstellung, Altlastenbeseitigung, melden sich marktwirtschaftlich gesehen nicht als „Bedürfnisse“. Ganz zu schweigen von grundsätzlichen Veränderungen in der Struktur des Verkehrswesens, der Energieversorgung, des Gesundheitsdienstes und allgemein der Konsumbedürfnisse der Menschen.
Das Vertrauen in die Marktmechanismen, in den Umweltschutz als Zukunftsindustrie mit Reparatureffekt, ist folglich verfehlt. Das muss auch deshalb so sein, weil die zeitlichen Vorstellungen, in denen im Umweltschutz investiertes Kapital verwertet sein soll, und die zeitlichen Dimensionen der Reparatur und Erneuerung der zerstörten Umwelt stark differieren. Wenn die Unternehmen heute sagen, sie können bis zum Jahre 2010 auf die Fluorchlorkohlenwasserstoffe in der Produktion verzichten — was nur marktwirtschaftlich gesehen ist, denn technisch ersetzbar wären sie sofort — dann sind bis dahin schon gravierende neue Umweltschäden aufgetaucht und die alten haben sich verschärft.
Weil dies alles nicht ausreicht, gibt es in den Reihen der bürgerlichen Ökonomen noch eine Reihe weiterer Überlegungen. Sie sehen sich einerseits der zunehmenden Umweltzerstörung und andererseits dem Druck der Ökologiebewegung, die politische Maßnahmen fordert, ausgesetzt. Auflagen, Verbote, Grenzwerte passen jedoch nicht in die Marktphilosophie und widersprechen der aktuellen Offensive für eine breit angelegte „Deregulierung“. Ihre „Lösung“ besteht darin, die bisher „externalisierten“ Kosten, das bedeutet den gesamtgesellschaftlichen Schaden, der bisher von der „Allgemeinheit“ getragen wurde, zu „internalisieren“. Die natürlichen Ressourcen, Luft, Wasser, Boden usw. müssen einen Preis erhalten, müssen „in Wert gesetzt“ werden. Weil, so ihre Logik, die Natur „knapp“ geworden ist, muss sie in die ökonomische Kalkulation der Unternehmer miteinbezogen werden. Der Gedanke, den noch nicht in Form von Rohstoffen, Nahrungsmitteln usw. vermarkteten Rest der Natur in kleine käufliche Einheiten zu parzellieren, liegt zwar nahe, stößt jedoch auf Schwierigkeiten. Luft, Boden, Klima und dergleichen sind außerhalb des allgemeinen Marktaustausches. Wie sollen da „gerechte“ Preise entstehen? Künstliche, politisch festgelegte Preise sind aber prinzipiell umstritten und damit falsche Preise.
Deshalb werden „Verschmutzungsrechte“ gefordert (zum Beispiel vom erwähnten L, Wicke, oder dem Ökonomen Holger Bonus). Jedes Unternehmen kauft (oder, nach anderen Vorschlägen, erhält kostenlos) Zertifikate, die zu einer bestimmten Menge von Schadstoffemissionen berechtigen. Die Zertifikate sind wie Aktien zu erwerben und weiterzuverkaufen. Die extremsten Theoretiker*innen träumen von einer richtigen Umweltbörse und von Umweltmaklern. Der Staat müsse nur noch bestimmte Grenzwerte an höchstzulässigen Emissionen festlegen, die je nach dem Stand der Technik verändert oder stufenweise verschärft werden können, Den Rest regelt der Markt. Die stark verschmutzenden Unternehmen werden gezwungen, viele Zertifikate zu erwerben, um weiter produzieren zu können, Die „fortschrittlichen“ Unternehmen können Zertifikate verkaufen (wobei natürlich auch Spekulation, Zurückhalten der Zertifikate und sonst allerlei Unfug möglich ist). Auf diese Weise entsteht ein Anreiz, technische Anlage zu verbessern, Produktionen umzustellen oder einzuschränken.
Damit der Einzelunternehmer flexibler wird, schlagen die berühmten „Fünf Weisen“ vor, ein „Glockenmodell“ einzuführen, das für jede regionale, zusammenhängende Gruppe von Unternehmen die Gesamtbelastung bei Vollbetrieb ermittelt und dann einen Grenzwert festlegt. Welches Unternehmen dann mittels Zertifikatskauf Dreck abgeben darf und welches nicht, ist im Einzelfall regelbar. Das Ergebnis ist die Vermarktung der Umweltverschmutzung. Ist die „Nachfrage“ nach Dreckausstoß groß, werden die Zertifikate teuer, ist sie gering, fallen die Preise. Unternehmen. die Zertifikate verkaufen, können Umwehschutzinvestitionen finanzieren. Wenn der politische Wille die Schadstoffe verstärkt reduzieren will, können die Mengen an Verschmutzung pro Zertifikat per Beschluss abgewertet werden.
Eine solche marktwirtschaftliche Regelung ist zunächst nichts als eine Verteilung der Umweltverschmutzung über einen Markt. Von Umweltsanierung oder -schutz kann keine Rede sein. Aber sie wird auch kaum so funktionieren, wie es auf dem Papier aussieht. Wie sollen zum Beispiel irreguläre Verhaltensweisen geahndet werden? Spekulation, Horten von Zertifikaten, damit keine Konkurrenz produzieren kann, internationale Aufkaufaktionen — die durchaus auch von Umweltschutz-Konzernen wie Greenpeace oder WWF erfolgen können, die bereits in der Realität Verschuldungstitel von abhängigen Ländern aufgekauft haben, mit der Bedingung, dafür Umweltschutzmaßnahmen zu verwirklichen — und vieles mehr ist denkbar. Da muss ein Umweltkartellamt her. Wie sollen die Schadstoffemissionen kontrolliert werden, auf welche Schadstoffe werden die Zertifikate bezogen, wie ist es mit kombinierten Wirkungen mehrerer Stoffe? Die Unternehmer müssten tun, was sie zurzeit gegen die Forderung der Umweltbewegung energisch abzuwehren versuchen: eine genaue Emissions- und Schadensbuchführung, die auch einer Kontrolle durch öffentliche Organe zugänglich wäre.
Beinahe überflüssig festzustellen, dass das große Feld der Altlastensanierung von dieser Marktregelung ausgenommen bleibt und dass ökonomische Zeitregelungen und ökologische Zeiten hier auch nicht kompatibel sind. Jede auch nur mittelfristige Umweltreparatur und Produktionsumrüstung ist durch die Zertifikatswirtschaft nicht mehr vermittelbar.
Voraussetzung auch einer solchen Marktregelung bleibt aber die politische (künstliche) Festsetzung zulässiger Schadstoff-Höchstwerte. Dass die Kombination dieser Politik mit der Anarchie des Marktgeschehens zu weniger Regulierung, weniger Aufsicht und Bürokratie führen soll, ist überhaupt nicht einzusehen.
Steuern kann man steuern
Als Trost bleibt, dass die konsequenten Umweltvermarkter nur Theoretiker*innen sind. Ihre mehr pragmatischen Gesinnungsfreund*innen „beschränken“ sich auf die Formel „Abgaben statt Auflagen“. Sie favorisieren ein mehr oder weniger dichtes Netz an Umweltsteuern. Die SPD-„Expertin“ Ingrid Matthäus-Maier: „Der Verschleiß von Luft, Wasser und Boden hat keinen Preis; eine Schädigung dieser Ressourcen schlägt deshalb nicht auf die Kosten des Produktes durch.“ Deshalb sollen neben der bestehenden Abwasserabgabe eine Reihe weiterer Steuern erhoben werden. Die Grünen fordern zusätzliche Steuern auf Abluft, Verpackung und die Verwendung von Grundchemikalien sowie Energieverbrauchssteuern. Andere Vorschläge fordern Steuern auf Stick- und Schwefeloxidemissionen. Das Öko-Institut Freiburg listet sogar 32 spezielle Steuern für Umwehbelastungen auf. Biedenkopf von der CDU will prüfen, „kann ich Steuern und Abgaben so gestalten, dass ich eine ökologische Verträglichkeit verwirkliche, ohne die beiden anderen Dimensionen der Marktwirtschaft — Wirtschaftlichkeit und Sozialpflichtigkeit — zu beeinträchtigen?“
Die Steuern haben in der Regel eine Finanzierungsfunktion. Sie sollten deshalb so bemessen sein, dass die Unternehmer sie auch zahlen, damit das Staatssäckel Geld für Umweltschutzmaßnahmen erhält. Sind sie so hoch, dass es ökonomisch ratsamer ist, auf eine bestimmte Produktion zu verzichten oder technisch nachzurüsten, so wird aus der Steuer eine Abgabe, deren Funktion im besagten Anreiz liegt, mit der Umweltverschmutzung aufzuhören. Abgaben werden eingeführt, sich nach einiger Zeit selbst überflüssig zu machen.
Je marktfreundlicher die entsprechenden Theoretiker*innen sind, desto mehr setzen sie auf Steuern; die marktkritischen Ökologinnen begünstigen dagegen ein System von Abgaben. Steuern und Abgaben gemeinsam ist ihr Effekt, sowohl Unternehmer als auch die Konsumenten der Endprodukte zu treffen. Denn natürlich werden die zusätzlichen Kosten auf den Verkaufspreis aufgeschlagen, wie es bei jeder indirekten Steuer geschieht, Von indirekten Steuern gibt es neben der Mehrwertsteuer (die in der BRD ein Viertel der Steuereinnahmen einbringt) heute bereits reichlich. Eine Auswahl: Kaffeesteuer, Biersteuer, Schaumweinsteuer, Feuerschutzsteuer, Zuckersteuer, Leuchtmittelsteuer, Vergnügungssteuer, Getränkesteuer, Teesteuer, Salzsteuer, Kinosteuer, Kraftfahrzeugsteuer, Mineralölsteuer, Branntweinabgaben, Tabaksteuer und einige mehr, die ungefähr die Hälfte aller Steuereinnahmen ausmachen. Wenn die Verbraucher bestimmte Produkte nicht mehr kaufen, bleibt der Unternehmer auf seinem Dreck sitzen und muss zusätzlich Abgaben zahlen, Ihm wäre zu raten, seine Produktion zu ändern.
Gegen die Abwälzung der Umweltsanierungskosten auf die Verbraucher sollte von sozialistischer Seite prinzipiell Einwand erhoben werden. Sie tragen — siehe oben — keine Verantwortung für die Naturzerstörung, sondern leiden darunter. Die alte Forderung der Arbeiterbewegung, alle indirekten Steuern abzuschaffen, zugunsten einer progressiven Besteuerung der realen Einkommen bleibt auch heute noch aktuell, Die Erziehung über den Geldbeutel erzeugt obendrein gerade das ökonomisch zugerichtete Verständnis der Natur, das der kapitalistischen Produktionsweise eigen ist.
Richtig sind auch die Einwände, die vom Bundesverband der Industrie kommen — von dort aus wohl eher mit anderen Motiven: Die Wirkung von Steuern sei allenfalls sehr langfristig. Es sei ein gewaltiger bürokratischer Aufwand zur Eintreibung und Kontrolle nötig. Schon eher borniert auf die eigene Dreckproduktion sind die „Argumente“ von Konrad Henkel, der Vorteile seiner ausländischen Konkurrenten wittert, „wenn die Verarbeitung solcher Grundstoffe im Inland besteuert wird, aber nicht die Einfuhr weiterverarbeiteter Produkte aus dem Ausland.“.
Letztlich versagen Umweltsteuern genauso wie die Zertifikatswirtschaft bei grundsätzlicher Umorientierung der Produktion, bei der Altlastensanierung und bei Schäden, die nicht genau zuzuordnen oder umstritten sind.
Um dieses Defizit zu tilgen, werden insbesondere von den Grünen Zweckbindungen vorgeschlagen. Der Staat soll die zusätzlich eingenommenen Gelder ausschließlich für umweltschützende und reparierende Maßnahmen, gegebenenfalls auch für Subventionen an umrüstwillige Unternehmen verwenden. Dann wäre es jedoch unkomplizierter und unbürokratischer, die Gelder direkt bei den Unternehmern zu holen. Denn Sturm gegen solche Zweckbindungen laufen die Unternehmer allemal. Würden sich schlichte indirekte Steuern nicht nur problemlos auf die Verbraucher abwälzen lassen, sondern, wie der alte Hosenfabrikant Müller-Wipperfürth so treffend bemerkte, „Steuern lassen sich steuern“, so sind zweckgebundene Abgaben unternehmerfeindlicher Dirigismus. Dies gilt noch mehr für hohe Strafabgaben, die den Unternehmer zwingen sollen, auf Dreckerzeugung zu verzichten — die eine unter Umständen sinnvolle direkte Abschöpfung sein können, wenn sie mit Reglementierung bezüglich der Abwälzung auf die Preise verbunden sind.
Generell ist ein weiteres Mal anzufügen, dass auch die Öko-Steuern und vor allem Abgaben an den Anfang eine bewusste Politik setzen, die sich reale Machtorgane schaffen muss, ihre Ziele gegenüber dem Kapital auch durchzusetze. Wie anders sollen die notwendigen drastischen Maßnahmen und die lückenlose Kontrolle verwirklicht werden?
Brunnenvergifter und Lebensmittelfälscher
Die legale Welt des Kapitalismus zerstört also grundsätzlich die Natur, und eine Selbstkorrektur ist ebenso wenig zu erwarten wie eine die Umwelt rettende Wirkung durch Stimulierung einzelner Mechanismen der Marktwirtschaft. Bleibt zum Schluss ein kleiner Ausblick auf die kriminelle —nach bürgerlichem Recht — Seite der Medaille. Mehrere Marxist*innen (so E. Mandel in „Der Spätkapitalismus“) haben für den gegenwärtigen Kapitalismus eine grundsätzlich veränderte Haltung des Einzelkapitalisten oder Unternehmens gegenüber dem Staat festgestellt. Heute beschäftigt jedes mittlere Unternehmen einen Trupp von Spezialistinnen, der ausschließlich das Umgehen von staatlichen Auflagen, von Steuergesetzen und Vorschriften erkunden und sicherstellen soll. Dies gilt in der Umweltpolitik verstärkt. Im Bereich der Umweltsicherung und Schadensbegrenzung gibt es mittlerweile ein dichtes Netz von Verordnungen, Grenzwerten und EG-Vorschriften. Die sind vom ökologischen Standpunkt sicher mehr als unzureichend, vom Standpunkt des Unternehmens jedoch lästig. Deshalb wächst das Feld der Umweltverbrechen. Dabei taucht die schon von Marx angeprangerte Lebensmittelverfälschung auf (zuletzt waren die gepanschten Weine und das hormonangereicherte Fleisch in den Schlagzeilen) als auch illegale Abfallbeseitigung (einschließlich der weltweit operierenden Atommüll-Mafia), heimliche Einleitungen und Abgas-Abgaben. Die Bußgelder (maximal 100.000 DM) werden notfalls aus der Portokasse bezahlt. Jedoch werden über 80 Prozent der Umweltverbrecher nicht belangt, weil sie entweder nicht ermittelt werden oder sich rausreden können.
Die Möglichkeiten der Kontrolle und Überwachung sind generell schwach. Wenn der frühere Umweltminister der Grünen, Fischer, beispielsweise beklagt, dass allein die entsprechende Abteilung beim Chemie-Konzern Hoechst um einiges größer ist, als „sein“ Umweltministerium, wird klar, wie die Machtverhältnisse aussehen. Es gibt keine Beweispflicht beim Umweltzerstörer, dass seine Produkte unschädlich sind, sondern umgekehrt müssen die Opfer beweisen, dass sie von einem konkreten Stoff aus einer konkreten Anlage geschädigt wurden.
Die Kombination von technischer Unzulänglichkeit, krimineller Auflagenverletzung und Arbeitshetze bei den Beschäftigten ist in fast allen Fällen die Ursache für Unfälle mit mehr oder weniger großen Auswirkungen auf die Umwelt. Für die Schäden muss auch hier die „Allgemeinheit“ aufkommen.
Die kriminellen Aspekte des Verhältnisses von Kapitalismus und Umwelt sind jedoch, wie allgemein auch, nur eine verkürzte, unverhüllte Illustration der generellen Zustände. Kapitalismus und eine Wiederherstellung der natürlichen Umwelt sind deshalb nicht vereinbar.
Thies Gleiss, Dezember 1988