Manuel Kellner
Friedrich Engels schreibt im April 1895, er habe „von Marx immer gehört, grade durch seine Beschäftigung mit den Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz […] sei er von der bloßen Politik auf ökonomische Verhältnisse verwiesen worden und so zum Sozialismus gekommen.”
Marx‘ Artikel der Jahre 1842/43 in der Rheinischen Zeitung bestätigen das. Er schreibt zu den Debatten des Rheinischen Landtags über das Holzdiebstahlsgesetz: „Gleich im Beginn der Debatte opponiert ein Stadtdeputierter gegen die Überschrift des Gesetzes, wodurch die Kategorie ‚Diebstahl´ auf einfache Holzfrevel ausgedehnt wird. Ein Deputierter der Ritterschaft erwidert: ‚dass eben, weil man es nicht für einen Diebstahl halte, Holz zu entwenden, dies so häufig geschehe´. Nach dieser Analogie müsste derselbe Gesetzgeber schließen: weil man eine Ohrfeige für keinen Totschlag hält, darum sind die Ohrfeigen so häufig. Man dekretiere also, dass eine Ohrfeige ein Totschlag ist.”
Der Landtag stellt im Interesse der Waldeigentümer das bloße Sammeln von abgefallenem Holz als „Diebstahl” auf die gleiche Stufe mit dem Abhauen und Entwenden von stehendem grünen Holz. Marx weist nach, dass sogar die „hochnotpeinliche Halsgerichtsordnung” des 16. Jahrhunderts mit den Ärmsten der Armen glimpflicher umging und etwa den Mundraub von Früchten nur als eine Art von Ordnungswidrigkeit ansah.
Die Waldeigentümer besitzen den Baum, aber nicht die Äste und Zweige, die die Natur selbst vom Baum getrennt hat, argumentiert Marx, und so „lügt das Gesetz, und der Arme wird einer gesetzlichen Lüge geopfert”. So wird die Legitimität der Gesetze untergraben: „Das Volk sieht die Strafe, aber es sieht nicht das Verbrechen, und weil es die Strafe sieht, wo kein Verbrechen ist, wird es schon darum kein Verbrechen sehen, wo die Strafe ist.”
Marx setzt sich für die Gewohnheitsrechte der Armen ein, die sie wahrnehmen, um ihre Not zu lindern, während die Eigentümer ihre Privatinteressen rücksichtslos gegen sie durchsetzen. Sogar das Sammeln von Waldbeeren durch Kinder armer Leute soll zum „Diebstahl” erklärt werden mit dem Argument eines Abgeordneten, in dessen Gegend solche Früchte bereits Handelsartikel seien: „Man hat es wirklich schon an einem Ort so weit gebracht, aus einem Gewohnheitsrecht der Armen ein Monopol der Reichen zu machen. Der erschöpfende Beweis ist geliefert, dass man ein Gemeingut monopolisieren kann; es folgt daher von selbst, dass man es monopolisieren muss.” Und wie systematisch werden gerade heute alle verblieben Gemeingüter zum Monopol des Privateigentums und seines Eigennutzes gemacht!
Marx zeigt, wie die Verwalter der Eigentümer sogar die Höhe der Entschädigungen festlegen sollen! Er fragt auch, ob nicht „alles Privateigentum Diebstahl” sei, da es „jeden Dritten” von diesem Eigentum „ausschließe” (MEW 1, S. 113) und stellt fest, dass im Landtag „das Interesse das Recht überstimmt“ (MEW 1, S. 146) hat. Nichts Provinzielles, sondern Universelles steht zur Debatte: „Holz bleibt Holz in Sibirien wie in Frankreich; Waldeigentümer bleibt Waldeigentümer in Kamtschatka wie in der Rheinprovinz.”
Marx war als Redakteur der Rheinischen Zeitung noch nicht Kommunist und schrieb 1858, er habe sich damals gegen ein „stümperhaftes” Aufgreifen französischer sozialistischer und kommunistischer Ideen ausgesprochen, „gestand aber zugleich […] rundheraus, dass meine bisherigen Studien mir nicht erlaubten, irgendein Urteil über den Inhalt der französischen Richtungen zu wagen.”
Er studierte diese „Richtungen” dann gründlich und verstand sich 1843/1844 als kommunistischer Anhänger einer menschlichen Emanzipation, deren „Kopf die Philosophie” und deren „Herz das Proletariat” sei.