USA:
«Es ist an der Zeit dem rechten Terror vereint entgegenzutreten!»
Die tödlichen Angriffe von Rechtsextremen auf linke Gegendemonstrant*innen am Samstag, 12. August 2017 in Charlottesville haben weltweit Empörung und Proteste hervorgerufen. Wir veröffentlichen hier das Statement der International Socialist Organization (ISO), die an den Gegenprotesten beteiligt war und sich bemüht, die kommenden Aufgaben der Linken im Kampf gegen die extreme Rechte zu skizzieren.
Übersetzung und Untertitel durch BFS Jugend Zürich.
Von International Socialist Organization; aus socialistworker.org
Die Maske der scheinbar neuen „Alt-Right“-Bewegung wurde abgerissen und es zeigte sich die bekannte furchtbare Fratze des Faschismus, von dem die meisten Leute dachten, er sei bloss ein Relikt der Geschichte. Bei den Demonstrationen des letzten Wochenendes unter dem Namen „Unite the Right“ in Charlottesville [1], Virgina, ging es nie um die vorgeschobene Verteidigung der freien Meinungsäusserung, sondern darum, für eine Statue der Konföderierten einzutreten. Die Veranstalter hiessen offene Nazis willkommen, welche die Strassen von Charlottesville durchstrichen und nach potentiellen Angriffszielen suchten und schliesslich in einer Terrorattacke mit einem Auto in friedliche Demonstrant*innen fuhren, wobei die 32-jährige lokale Aktivistin Heather Heyer getötet und dutzende weitere zum Teil schwer verletzt wurden. Die wütende Antwort auf den Naziterror in Charlottesville kam sofort und äusserte sich in kämpferischen Protesten und Mahnwachen in hunderten Städten und einer von überall her kommenden Verurteilung der rassistischen Gewalt. Von überall, ausser von Donald Trumps Weissem Haus.
Eine starke Antwort der Linken ist gefragt
Dies ist ein entscheidender Moment. „Wird diese offene Zurschaustellung des Rassismus die extreme Rechte wieder an den Rand der Politik drängen, oder zur weiteren Normalisierung der Bewegung beitragen und sie so zum festen Bestandteil der nationalen Debatte werden lassen?“, fragte die New York Times. [2] Die Antwort darauf hängt von den Millionen ab, die in klarer Opposition zu Trump und der Rechten stehen. Ihre Reaktion in den nächsten Wochen und Monaten wird entscheidend sein.
Jetzt ist es an der Zeit, die Angst, welche die Faschist*innen uns fühlen lassen wollen, zu überwinden und Demonstrationen mit überwältigenden Zahlen zu organisieren – damit wir dieses Krebsgeschwür stoppen, bevor es zu etwas noch gefährlicherem wird. Das bedeutet breite Proteste mit allen zu organisieren, die von dieser Gefahr betroffen sind, was schlussendlich wir alle sind, um zu beweisen, dass die Rechte eine kleine Minderheit ist. Nach der üblen Gewalt der rechten Sturmtruppen in Charlottesville wissen wir, dass die extreme Rechte nicht auf mehr Macht durch mehr Stimmen oder gute Zustimmungswerte hofft. Wir können sie nicht durch das liberale Credo „sie einfach ignorieren“ besiegen. Wenn wir heute die extreme Rechte nicht stoppen, werden sie uns an unserer Basisarbeit morgen hindern, so einfach ist das. Das ist kein Kampf den wir gewählt haben, aber es ist einer, den wir gewinnen müssen! Wir müssen uns auch klar sein, dass wir uns weder auf die Polizei, noch auf die Regierung in diesem Kampf verlassen können. Es ist an uns unsere Gemeinden und unsere Bewegungen vor den Rechten zu schützen. Wenn wir erfolgreich sind, könnte Charlottesville ein Wendepunkt bedeuten, nicht nur im Kampf gegen rechts sondern auch in unserer eigenen Organisationsfähigkeit.
Die International Socialist Organization verschreibt sich komplett diesem dringenden Kampf und wir beteiligen uns an den Aufrufen so vieler Organisationen und Personen seit Charlottesville: Für einen vereinten Kampf um sich den Rechten entgegenzustellen und den Faschismus zu besiegen! Der Widerstand wird in den nächsten Wochen einzeln aufflackern, von Boston bis Berkeley, aber dieser Kampf muss überall geführt werden, in jeder Stadt, in allen Gemeinden, in der Schule und am Arbeitsort. Wir bitten all unsere Unterstützer*innen und die gesamte Linke diesen Standpunkt einzunehmen: Jetzt ist die Zeit vereint zu kämpfen!
Die Gefahr der Faschist*innen
Der schrecklichste Zwischenfall in Charlottesville war natürlich der terroristische Anschlag des Neonazis James Fields, Mitglied von „Vanguard America“, der seinen Wagen mit hoher Geschwindigkeit in eine Gruppe Protestierender fuhr, wobei unter anderem Personen der International Socialist Organisation, der Democratic Socialists of America und der Industrial Workers of the World getroffen wurden. Aber das Projekt des Faschismus ist weitaus umfassender als vereinzelte Terrorattacken. Sie wollen eine Organisation von disziplinierten Verbrecher*innen aufbauen, um systematisch alle unterdrückten Menschen einzuschüchtern und zu terrorisieren, ein Projekt, das, so lehrt die Geschichte, inhärent mit Mord verbunden ist. In diesem Fall war James Fields der Mörder. Aber die Nazis und die Rechten „Peacekeepers“, die schwer bewaffnet nach Charlottesville kamen, waren bereit Gewalt gegen People of Color, Jüd*innen und Linke anzuwenden. Sie sind äusserst gewillt Individuen auszulöschen auf ihrem Weg zu ihren eigentlichen Zielen: Massenmord und Genozid. Das wahre Gesicht des Faschismus war während des ganzen Wochenendes klar zu erkennen: Hunderte fakeltragende Männer, die „Blut und Boden“ schrien und Gegenproteste angriffen; Gruppen mit Waffen und Schildern, die vor allem People of Color, wie den 20-jährigen Deandre Harris suchten und brutal niederschlugen.
Wie ProRepublica Reporter A.C. Thompson schreibt, zeigte die extreme Rechte in Charlottesville „eine derart noch unbekannte Organisiertheit und taktische Intelligenz. Hunderte Rassisten spazierten am Freitagabend durch die Dunkelheit zu einem Park in Gruppen von fünf bis 20 Personen. Eine Handvoll Rädelsführer mit Headsets und Kommunikationsgeräten gab Anweisungen als ein Truck mit Fakeln in der Nähe hielt. Innerhalb von Minuten waren hunderte Personen um den Truck. Schnell und effizient formierten sie einen Demonstrationsumzug mit brennenden Fackeln durch den Campus der Universität von Virginia.“ [3]
Die Faschist*innen Charlottesville waren sehr selbstsicher. Ein kleiner arroganter Nazi namens Sean Patrick Nielsen prahlte gegenüber der Washington Post: „Ich bin hier für republikanische Werte; erstens Aufstehen für die lokale weisse Identität, denn unsere Identität ist in Gefahr, zweitens der freie Markt und drittens das Töten von Juden.“ [4] All dies machte Trumps Verurteilung der Gewalt „auf vielen Seiten“ umso lächerlicher für Millionen von Menschen. In der Konsequenz feierte die Neonazi Seite Daily Stormer den Kommentar des Präsidenten als einen Sieg. [5] Dies ist ein weiteres Zeichen der momentanen Gefahr: Eine Trump-Administration, die verseucht ist mit rechtsextremen Rassisten, von Alt-Right Fan Steve Bannon zum Euro-Faschisten Freund Sebastian Gorka, zum enthusiastischen Konföderationalisten Jeff Sessions. Wir sollten uns keine Illusionen machen: Die giftige Mischung der extremen Rechten, die von offenen Nazis bis zu Leuten mit dem Schlüssel zum Weissen Haus reichen, ist die gefährlichste Kraft des amerikanischen Faschismus seit Generationen.
Antifaschistische Antworten und Strategien entwickeln
Unsere Seite hat eine potentiell starke Waffe gegen die wachsende Gefahr: Unsere schiere Anzahl! Die Geschehnisse von Charlottesville, nicht nur der Terror, sondern auch die Naziflaggen, die Fackelmärsche, die verbrecherische Gewalt, schockierten einen Grossteil der amerikanischen Gesellschaft. Von Samstagabend bis am Montag gab es in über 400 Städten Solidaritätsdemonstrationen [6]; eine Explosion des Protests, der an die Tage nach der Wahl Trumps im letzten November 2016 erinnerte. Jason Kessler, Bürger von Charlottesville, der die „Unite the Right“-Demonstration initiierte, wurde von einer wütenden lokalen Bevölkerung von seiner eigenen Pressekonferenz vertrieben. Von überall aus dem Land gab es Statements gegen hausgemachten white-supremacy-Terrorismus, und gegen Trumps schwache Antwort darauf. Die bürgerlichen Medien stoppten plötzlich mit der fehlerhaften Bezeichnung des „Alt-Right“ für Leute wie Richard Spencer und nannten sie hingegen richtigerweise „white supremacists“. Duzende Republikaner im Kongress, die ihre Karriere auf Kuppelei mit Rassismus und der Reaktion aufbauten, preschten vor, um die Nazis zu verurteilen und distanzierten sich von Trump, der schlussendlich gezwungen war, am Montag, 14. August 2017 die white supremacists explizit zu benennen und zu verurteilen. Aber auch hier sollte klar gesehen werden, dass Trumps verspätete Antwort auf Charlottesville vor allem einen Appell an mehr „Law and Order“-Politik enthielt; mit diesem rassistischen Schlagwort meint er vor allem der Polizei und den Einwanderungsbehörden mehr Macht zu geben, um People of Color zu drangsalieren. Die Mächte des „Law and Order“ waren zwar überall auf den Strassen in Charlottesville, sie standen aber nur rum und schauten der rechten Gewaltorgie zu. [7]
Anstatt die Regierung um Schutz zu bitten, müssen wir Massenproteste organisieren und uns selbst schützen. Die Strategie sich auf kleine antifaschistische Gruppen zu verlassen, die für die Unterdrückten gegen die Nazis kämpfen, zeigte sich anhand der grossen Mobilisierung der Rechten Heuchler als unzulänglich. Jetzt ist der Moment, eine Einheitsfront mit so vielen Organisationen wie möglich im Kampf gegen die Rechte zu bilden, nicht nur mit linken Gruppierungen, sondern auch mit Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen bis zu kleinen Clubs an den Universitäten. In Portland, Oregon brachte diese Strategie im Juni 2017 mehr als 1000 Leute auf die Strasse, um gegen Gruppierungen zu protestieren, die den rassistischen Mord an Ricky John Best und Taliesin Myrddin Namkai-Meche feiern wollten. [8] Wir brauchen mehr solche Events, etwa wenn am 19. August 2017 die extreme Rechte in Boston aufmarschieren will oder das ganze Jahr hindurch gegen Campustour von Richard Spencer [Führer der Alt-Right]. Das „Movement for Black Lives“ hat für den 19. August 2017 zu einem nationalen Aktionstag aufgerufen. Am 27. August 2017 plant die extreme Rechte eine umfassende Mobilisierung in Berkeley, California, unter dem Banner „No to a marxist America“, wo sie die rassistischen Übergriffe des letzten Frühlings wiederholen wollen. Aber Antifaschist*innen bereiten sich seit Wochen auf diese Tage vor, um die klare Nachricht zu senden, dass wir angesichts ihres Hasses und ihrer Gewalt keinen Schritt zurückweichen.
Unter den vielen Verurteilungen der Gewalt in Charlottesville kam immer wieder die falsche Interpretation auf, dass solche faschistische Umtriebe irgendwie „unamerikanisch“ wären. Gewaltätiger Rassismus ist aber tief in die Geschichte Amerikas verankert und Terrorismus für die Verteidigung der verdrehten Ideale der Rechten ist so amerikanisch wie Apfelkuchen und Pancakes. Aber auch der Kampf gegen rassistischen Terror ist ebenso Teil der amerikanischen Erinnerung. Diejenigen, die erzählen, man solle die Rassist*innen einfach ignorieren, dann gingen sie von alleine weg, vergessen das oft. Oder sie haben Angst, dass unsere Bewegung nicht im Kampf gegen rechts endet. Es ist an der Zeit von älteren Generationen zu lernen, die den Ku Klux Klan oder den Faschismus in Europa bekämpften. Es ist Zeit zusammenzukommen, um die Kräfte zu besiegen, die uns zuhause halten wollen. Genauso wie wir Stärke von den Einwohner*innen von Ferguson, Missouri, gewinnen konnten [Start der BlackLivesMatter-Bewegung im August 2014], können uns auch die Worte von Heather Heyers Mutter Kraft für kommende Kämpfe geben: „Sie würde sich nie für ihre Überzeugungen verstecken. Und dafür starb sie. Sie starb während sie für ihre tiefen Überzeugungen kämpfte.“ Die Gefahr der Rechten steigt, aber wir müssen ihr entgegentreten um überhaupt unsere Forderungen anbringen zu können. Ein Sprecher in Columbus, Ohio, gab dem von vielen seit Charlottesville gefühlten Instinkt der Solidarität einen Ausdruck:
„Als wir mit der Organisation der Proteste an den Flughäfen gegen Trumps Muslim Ban im Januar 2017 begannen, posteten hunderte Islamophobe und Rechtsextreme Fotos und Videos von Menschen und Tieren, wie sie von Autos überfahren wurden. Sie wollten uns einschüchtern. Wir löschten die Videos stundenlang, bis tief in die Nacht. Am nächsten Tag kamen hunderte, um gegen die Einreisesperre zu protestieren. Wir hielten zwar nach verdächtigen Autos Ausschau, es kamen aber keine. Und so wurden wir Teil der historischen Flughafenbesetzungen, womit die erste Version der Einreisesperre wieder aufgehoben wurde. Diese Faschist*innen versuchen uns zum Schweigen zu bringen, sie versuchen uns einzuschüchtern, sie wollen dass wir Angst haben. Doch wir sind viele, sie nur wenige!“
[1] https://socialistworker.org/2017/08/14/charlottesville-is-a-call-to-action
[2]https://www.nytimes.com/2017/08/13/us/far-right-groups-blaze-into-national-view-in-charlottesville.html
[3]https://www.propublica.org/article/a-new-generation-of-white-supremacists-emerges-in-charlottesville
[4]https://www.washingtonpost.com/video/national/state-of-emergency-declared-after-white-nationalists-gathering-in-charlottesville/2017/08/12/7c67cb72-7fb1-11e7-b2b1-aeba62854dfa_video.html
[5]https://www.washingtonpost.com/news/post-nation/wp/2017/08/13/one-group-loved-trumps-remarks-about-charlottesville-white-supremacists/
[6]http://www.huffingtonpost.com/entry/counter-protests-across-country-charlottesville-rally_us_598fdd95e4b090964297846f
[7] https://www.propublica.org/article/police-stood-by-as-mayhem-mounted-in-charlottesville
[8] https://socialistworker.org/2017/06/12/how-did-portland-stand-united-against-hate
Übersetzung und Untertitel durch BFS Jugend Zürich.