„Helft den Gefangenen in Hitlers Kerkern!“
Teil 2: Die Rote-Hilfe nach 1933
Im ersten Teil des Berichts über die Veranstaltung zur Geschichte der Roten-Hilfe (siehe Avanti O. Nr. 10) ging es um die Entstehung der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) und um ihre Aktivitäten in der Weimarer Republik. Der zweite und letzte Teil behandelt den antifaschistischen Widerstand der RHD ab 1933. Die Referentin vom Hans-Litten-Archiv1 schilderte anschaulich, auf welche Weise praktische Solidarität mit politisch Verfolgten geübt wurde, wer die Aktiven waren, und welche Rolle ihre Arbeit für den Klassenkampf und den Widerstand gegen die Nazis gespielt hat. Auch im Ruhrgebiet.
P.S.
Bereits in der Weimarer Republik war die Rote-Hilfe Ziel von Repression. Einige ihrer Veranstaltungen wurden verboten, gegen einzelne ihrer Einrichtungen wurde vorgegangen. Dennoch traf die Organisation das Verbot durch die Nazis im Frühjahr 1933 unvorbereitet. Die Nazis fanden offene Daten- und Adresssammlungen der Mitglieder. Eine heftige Repressionswelle folgte. Die RHD wurde zerschlagen, führende Funktionäre wie Eugen Schönhaar und Erich Steinfurth von der Gestapo „auf der Flucht erschossen“.
Gleichzeitig wurde die Existenz der Roten Hilfe wichtiger denn je. Sie bereitete sich auf die Illegalität vor und rief dazu auf, die faschistische Terrorwelle zu brechen. Poststellen und neue Deckadressen wurden eingerichtet.
Dezentralisierung
Das Prinzip der zentralen Organisierung wurde durch die Repression geschwächt. Die Gestapo konnte auf die Akten der Weimarer Republik zurückgreifen, wo die Rote-Hilfe schon umfassend überwacht wurde. Durch schlechte Tarnung und zu offene Kommunikation flogen auch neue Deckadressen auf. Weitere wurden aus Sicherheitsgründen aufgegeben. Die Solidaritätsarbeit erfolgte immer häufiger dezentral vor Ort.
Es gab kleine Komitees mit losem Kontakt zur Bereichsleitung, wobei diese sich mancherorts mit anderen Widerstandsgruppen wie mit der ebenfalls im Untergrund weiterarbeitenden KPD oder christlichen Kreisen verzahnten. Die Arbeit der RHD wurde stark von ehemaligen SPD-Mitgliedern getragen. Mit ihrem strömungsübergreifenden Ansatz konnte die Organisation den Brückenschlag zwischen verschiedenen Widerstandsgruppen machen und Einheitsfrontabkommen schließen.
Eine negative Folge der Dezentralisierung war, dass weniger Geld für reichsweite Aktivitäten zur Verfügung stand, wie zum Beispiel für Reisen und für die Erstellung von Publikationen. Gleichzeitig war aber für die RHD ihre Anbindung an die Internationale Rote-Hilfe (IRH) von existenzieller Bedeutung. Im Exil wurden Anlaufstellen für politisch verfolgte AktivistInnen geschaffen, die in Deutschland extrem gefährdet – dass heißt: mit mehr als einigen Jahren Gefängnis bedroht – waren. Außerdem wurden im Ausland Druckschriften produziert, um sie dann nach Deutschland einzuschleusen.
Wachsender Frauenanteil
Die gestiegene Repression unter den Nazis bewirkte, dass der, mit der KPD verglichen, relativ hohe Frauenanteil der RHD (26,7 Prozent in 1932) noch einmal anstieg. Die Referentin erklärte das Phänomen mit dem sexistischen Weltbild der Verfolger und der damit verbundenen geringeren Repression gegen Frauen. Die Nazis stellten sich nur Männer als eigenständige politische Akteure vor. Frauen nahmen sie nicht ernst. Es wurden demzufolge hauptsächlich Männer verhaftet. Frauen konnten sich unauffälliger und freier bewegen. So nutzten sie zum Beispiel Kinderwagen für den Transport von Flugblättern und tarnten politische Treffen als Kaffeekränzchen.
Solidaritätsarbeit
Nach 1933 unterstützte die RHD politische Häftlinge in Gefängnissen und KZs. Um die hierfür benötigten Mittel zu bekommen, führten die Mitglieder Geld- und Lebensmittelsammlungen durch. Innerhalb der Roten-Hilfe umstritten war der Eintritt in die NS-Volkswohlfahrt und das Winterhilfswerk, um Lebensmittel für Gefangene zu organisieren. Musik- und Sportvereine dienten als Deckung für Schwarzkassen.
Die Mitglieder besorgten Papiere für untergetauchte Funktionäre, leisteten Fluchthilfe ins Ausland und schufen Gegenöffentlichkeit.
Die RHD im Ruhrgebiet
Aufgrund der Stärke der ArbeiterInnenbewegung im Ruhrgebiet hatte die Rote Hilfe von Beginn an hier einen Schwerpunkt. Hier war die Repression stärker als im übrigen Reichsgebiet und die verhängten Strafen höher. Die zentrale Organisation war im Gegensatz zur Mitgliederzahl desolat: Die RHD verfügte im Ruhrgebiet nur über sehr schwache Bezirksleitungen von zwei bis drei Mitgliedern. Diese waren mehr über Gerüchte als über Mittelspersonen mit der Reichsleitung verbunden.
Die Rote Hilfe führte im Ruhrgebiet Kampagnen für politische Gefangene durch. Insbesondere unterstütze sie mit dem Verkauf von Postkarten die Kampagne für die Freilassung des bereits im März 1933 verhafteten KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann. Sie leistete Antirepressions- und Solidaritätsarbeit. Ihre Mitglieder verteilten Flugblätter, verkauften Zeitungen und führten Spendensammlungen für die lokale Direkthilfe durch. Um unauffällig miteinander kommunizieren zu können, wurden zum Beispiel auch Beerdigungen genutzt.
Die Arbeit wurde mehr von Betriebsgruppen als von Stadtteilgruppen getragen. SozialdemokratInnen arbeiteten trotz Berührungsängsten mit der Roten-Hilfe zusammen.
In Oberhausen war die RHD besonders stark in der Niebuhrstraße sowie in der Dunkelschlagsiedlung verankert.
Keine linke Caritas
Weder nach ihrem Selbstverständnis noch nach ihren Aktivitäten war die Rote Hilfe in ihrer Geschichte eine rein karitative Organisation. Sie verfolgte in der Weimarer Republik und während der Nazizeit genauso politische Ziele wie die KPD oder andere antifaschistische Widerstandsgruppen.
Ihren politischen Gegnern war dies völlig klar. Die Mitarbeit bei der Roten Hilfe war unter den Nazis Hochverrat. Auch aus der Sicht der Repressionsorgane diente die Unterstützung von politisch Verfolgten und ihren Familien dazu, deren Kampfgeist aufrecht zu erhalten. So versuchten sie, die Unterstützung ins Leere laufen zu lassen, indem sie Pfändungen bei Familien politisch Verfolgter durchführten.
1935 erging das erste Todesurteil aufgrund eines reinen „Meinungsverbrechens“. Dem Kommunisten Rudolf Claus wurde nichts anderes zur Last gelegt als seine politische Gesinnung und seine Tätigkeit für die Rote Hilfe, die in der solidarischen Unterstützung notleidender Frauen und hungernder Kinder von politischen Gefangenen bestand. Weitere Justizmorde folgten.
Im September 1938 benannte sich die RHD offiziell in „Deutsche Volkshilfe“ um. Unter diesem Namen war ein von einem breiten Spektrum getragenes Hilfswerk noch bis nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges aktiv.
Erst gut drei Jahrzehnte nach der Auflösung der RHD, ab 1970, begannen politischeAktivistInnen wieder, in Deutschland Rote Hilfe-Gruppen aufzubauen: zunächst in West-Berlin und dann bundesweit. Anlass hierfür waren massenhafte Prozesse gegen Angehörige der Außerparlamentarischen Opposition (APO).
Bedarf an ihrer Arbeit hätte es allerdings auch in der BRD immer gegeben. Dies wurde auch in der Diskussion nach dem Vortrag deutlich. Die Mörder linker AktivistInnen wurden kaum behelligt. Stattdessen wurden KPD-Mitglieder verfolgt. Die 1945 zunächst legalisierte KPD wurde im August 1956 in der BRD wieder verboten. Während Nazi-Schergen im Jahr 1949 mit einem ersten und im Jahr 1954 mit einem deutlich weitergehenden Gesetz amnestiert wurden und wieder in Amt und Würden kamen, hagelte es Berufsverbote gegen Linke. Die ersten Berufsverbote für KommunistInnen gab es ab September 1950. 1972 folgte der Radikalenerlass. Dieser war weitgehend identisch mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ der Nazis2.
Bedarf an der Solidaritätsarbeit der Roten-Hilfe für politisch verfolgte linke AktivistInnen gibt es auch heute. Wer auf die Website der Organisation schaut, kann sich leicht davon überzeugen. Ihr könnt die Arbeit der Roten-Hilfe unterstützen, indem Ihr selbst Mitglied werdet, auch wenn Ihr selbst aktuell nicht von Repression betroffen seid. Denn Solidarität ist keine Einbahnstraße …
Fußnoten
1 Archiv der Solidaritätsorganisationen der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung und der sozialen Bewegungen in Göttingen. Hans Litten, der Namensgeber, war einer der bekanntesten Rechtsanwälte der Roten Hilfe in der Weimarer Republik. Nähere Infos: siehe www.hans-litten-archiv.de
2 In der Zeitung der Roten Hilfe Nr. 2.2012, S. 54 ff, findet Ihr einen Schwerpunktartikel zur Geschichte der Berufsverbote. Die Zeitung könnt Ihr kostenlos von der Seite der Roten Hilfe herunterladen: www.rote-hilfe.de