Wenn Gesund­heit zur Ware wird …


… dann läuft etwas schief im Gesund­heits­sys­tem. Dass die Behand­lung von Patient*innen sich rech­nen muss, unab­hän­gig von deren Bedarf und auf Kos­ten der Beschäf­tig­ten, war Anlass für zwei Ver­an­stal­tun­gen, die vom 29. Novem­ber bis zum 1. Dezem­ber im Gebäu­de der ver.di Bun­des­ver­wal­tung in Ber­lin stattfanden.

Petra Sta­ni­us

Protestaktion bei der Gesundheitsminister*innenkonferenz in Leipzig, 4. Juni 2019. Foto: R. Hoffmann.

Pro­test­ak­ti­on bei der Gesundheitsminister*innenkonferenz in Leip­zig, 4. Juni 2019. Foto: R. Hoffmann.

Wie wei­ter im Kampf für mehr Per­so­nal und bedarfs­ge­rech­te Ver­sor­gung?“, so lau­te­te der Titel der ers­ten Ver­an­stal­tung, dem Kran­ken­haus-Bewe­gungs­rat­schlag, orga­ni­siert vom Bünd­nis „Kran­ken­haus statt Fabrik“.
In Arbeits­grup­pen und Ple­na mach­ten die Teil­neh­men­den eine Bestands­auf­nah­me, wie weit sie ihren Zie­len, die Öko­no­mi­sie­rung der Kran­ken­häu­ser wie­der rück­gän­gig zu machen und eine gesetz­li­che Per­so­nal­be­mes­sung durch­zu­set­zen, näher gekom­men sind. Wie kann eine alter­na­ti­ve Kran­ken­haus­pla­nung und -finan­zie­rung aus­se­hen, und wel­che Auf­ga­ben erge­ben sich dar­aus? Wie kann Orga­ni­zing dabei hel­fen, die Bewe­gung wei­ter zu stärken?

Per­so­nal gestärkt kraft Gesetz?
Auf Druck mas­si­ver Streiks in Kran­ken­häu­sern in den letz­ten Jah­ren und der sie beglei­ten­den Soli­da­ri­täts­be­we­gung wur­den auf Bun­des­ebe­ne mit dem so genann­ten Pfle­ge­per­so­nal-Stär­kungs­ge­setz (PpSG) diver­se gesetz­li­che Ände­run­gen beschlos­sen. Deren Aus­wir­kun­gen beleuch­te­ten die Teil­neh­men­den des Bewe­gungs­rat­schla­ges kritisch.
So haben die unter Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Spahn ein­ge­führ­ten Per­so­nal­un­ter­gren­zen nichts zu tun mit der For­de­rung nach bedarfs­ge­rech­ter Per­so­nal­be­mes­sung. Die Rege­lung schreibt im Kern den man­gel­haf­ten Ist-Zustand als Soll-Zustand fest und kann in Häu­sern mit bes­se­rer Per­so­nal­aus­stat­tung sogar zu Per­so­nal­ab­bau führen.

Anders ver­hält es sich zum Bei­spiel mit der Her­aus­nah­me der Pfle­ge­per­so­nal­kos­ten aus den Fall­pau­scha­len. Die­se Rege­lung beinhal­tet, dass die „Pfle­ge am Bett“ ab 2020 nach dem Selbst­kos­ten­de­ckungs­prin­zip finan­ziert wird. Was bedeu­tet, dass die Kran­ken­kas­sen die hier­für nach­ge­wie­se­nen Kos­ten voll­stän­dig über­neh­men müs­sen. Eine ech­te Ver­bes­se­rung also, die den Kos­ten­druck auf die Pfle­ge, und damit auch auf die Löh­ne der Pfle­ge­kräf­te, nimmt.

Aller­dings: Nur die Per­so­nal­kos­ten der Pfle­ge­kräf­te auf bet­ten­füh­ren­den Sta­tio­nen wer­den auf die­se Wei­se refi­nan­ziert. Also nicht die Pfle­ge­per­so­nal­kos­ten gene­rell – und auch nicht die Per­so­nal­kos­ten der vie­len ande­ren Berufs­grup­pen, die es braucht, um ein Kran­ken­haus zu betrei­ben: Therapeut*innen, Rei­ni­gungs­kräf­te, Techniker*innen, Labor- und Röntgenassistent*innen, Erzieher*innen, Ange­stell­te der Ver­wal­tung… Sie alle blei­ben außen vor.
Dies erhöht die Gefahr der Spal­tung von Kli­nik-Beleg­schaf­ten. Und macht es zu einer wich­ti­gen Auf­ga­be für die Bewe­gung, soli­da­risch zu sein mit allen betei­lig­ten Berufs­grup­pen. Und den Kampf zu unter­stüt­zen, dass die für die Pfle­ge erkämpf­ten Ver­bes­se­run­gen auf die ande­ren Berei­che über­tra­gen werden.

Aktio­nen und Vernetzung
Das direkt an den Bewe­gungs­rat­schlag anschlie­ßen­de Ver­net­zungs­tref­fen der Bünd­nis­se für mehr Per­so­nal im Gesund­heits­we­sen konn­te an die­se Debat­ten anknüp­fen und dar­auf aufbauen.
Vertreter*innen von rund 15 Bünd­nis­sen sowie Ein­zel­per­so­nen aus wei­te­ren Städ­ten waren bei dem Tref­fen anwe­send. Die Arbeit vor Ort und die gemein­sa­men Akti­vi­tä­ten wur­den zur Dis­kus­si­on gestellt und ausgewertet:
Der „Olym­pi­sche Brief“ wan­der­te im Früh­jahr 2019 durch Kli­ni­ken in ganz Deutsch­land. Etli­che tau­send Kolleg*innen unter­schrie­ben die dar­in auf­ge­stell­ten For­de­run­gen gegen den Pfle­ge­not­stand. Die Unter­schrif­ten über­ga­ben die Bünd­nis­se mit einer medi­en­wirk­sa­men Akti­on bei der dies­jäh­ri­gen Gesundheitsminister*innenkonferenz in Leip­zig an Jens Spahn. Der „Olym­pi­sche Brief“ hat so die Betei­lig­ten über betrieb­li­che und ört­li­che Gren­zen hin­weg mit­ein­an­der ver­bun­den und das Gemein­sa­me nach außen sicht­bar gemacht.

Dage­gen war es ein schwe­rer Schlag, dass das Ham­bur­gi­sche Ver­fas­sungs­ge­richt den Volks­ent­scheid über eine gesetz­li­che Per­so­nal­be­mes­sung in Ham­burg für unzu­läs­sig erklärte. 
Die­se recht­li­che Bewer­tung war kei­nes­wegs zwin­gend. Jedoch lehn­ten bald dar­auf auch der Baye­ri­sche und der Ber­li­ner Ver­fas­sungs­ge­richts­hof mit einer ähn­li­chen, teil­wei­se wort­glei­chen Begrün­dung die Volks­ent­schei­de in ihren Län­dern ab. Damit ist die­se schwung­vol­le Initia­ti­ve, die auf gro­ße Zustim­mung in der Bevöl­ke­rung stieß, gestorben.
In Work­shops, die eben­falls an der Pra­xis ori­en­tiert waren, dis­ku­tier­ten die Teil­neh­men­den über künf­ti­ge bun­des­wei­te, ört­li­che und betrieb­li­che Akti­vi­tä­ten. Vie­le Ideen wur­den dort gesam­melt und anschlie­ßend dem Ple­num vor­ge­stellt. Die Teil­neh­men­den ver­ab­re­de­ten ers­te gemein­sa­me Schrit­te für das kom­men­de Jahr.
Trotz der Erfol­ge der Bewe­gung bleibt noch viel zu tun. Und es geht wei­ter in 2020 – viel­leicht mit einer Volks­in­itia­ti­ve in NRW.

aus der Avan­ti O., Sept. -Dez. 2019
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