Ein Interview in der Taz vom 07.02.19 mit dem Theaterkollektiv Technocandy und deren Forderung, in den Vertrag mit dem Theater Oberhausen eine Anti-Rassismusklausel aufzunehmen, hat in Oberhausen zu großer Aufregung geführt, die sich auch in der Lokalpresse niederschlug. Wir drucken mit freundlicher Genehmigung des Autors unten seinen erfreulich sachlichen Beitrag zur Debatte ab.
Der blinde Fleck
Leserbrief von Jörn Vanselow an die Lokalredaktionen von NRZ und WAZ Oberhausen vom 21.02.2019
Es ist schon erschreckend, auf welchem intellektuellem Niveau sich die Diskussion um die so genannte Rassismus-Klausel in der Öffentlichkeit abspielt und was für blinde Flecken sich diesbezüglich bei einigen offenbaren.
Es gibt nicht DEN Rassismus, den aufgeklärte, sich selbst oft sogar als Anti-Rassisten verstehende Menschen, bei „Ausländer raus“ skandierenden Nazis oder AfD-Politiker*innen verorten. Dies ist lediglich eine sehr offensichtliche Form von Rassismus, wenn auch eine ziemlich ekelhafte. Rassismus ist es auch, wenn ein*e deutsche*r Vermieter*in, auch wenn sie/er selber vielleicht kein*e Rassist*in ist, aus Sorge um die Reaktion der anderen Mieter*innen, die freie Wohnung dann doch lieber an eine*n deutsche*n, als an eine*n nicht-deutsche*n Interessentin / Interessenten vermietet.
Und es gibt sogar wohlmeinenden Rassismus, wie das „Du“, das der / dem neuen, nicht-deutschen Kollegin / Kollegen auf der Arbeit oft umstandslos angeboten wird, um zu signalisieren, dass sie oder er trotz seiner Herkunft akzeptiert und aufgenommen wird.
Gemeinsam ist all diesen Handlungsweisen allerdings, dass sie eine Unterscheidung treffen. Zwischen „denen“ und „uns“, und dabei mal laut brüllend, mal unsichtbar und mal in bester Absicht davon ausgehen, dass es zwischen „denen“ und „uns“ aufgrund von Herkunft oder Hautfarbe einen generellen Unterschied geben würde. Während die erste Variante leicht zu identifizieren ist (und auch leicht von sich zuweisen ist), tun sich Menschen, die selber nicht von Rassismus betroffen sind – und das sind in diesem Land weiße und deutsche Menschen – oft schwer damit, subtilere und für sie quasi unsichtbare Formen rassistischer Handlungsweisen zu erkennen. Was sozusagen in der Natur der Sache liegt, da man als Weiße*r in einer von Weiße*n dominierten Gesellschaft hier schlichtweg einen blinden Fleck hat.
Wenn nun also eine junge, freie Theatergruppe wie „Technocandy“ auf die Aufnahme einer Anti-Rassismus-Klausel in ihren Vertrag besteht, hat dies nichts damit zu tun, nach Belieben die „Rassismus-Karte“ ziehen zu können, sondern geht es auch darum, jene Formen von Rassismus sichtbar zu machen (bzw. diese im Falles des Falles sichtbar machen zu können), die für Angehörige der Mehrheitsgesellschaft oftmals unsichtbar sind. Es geht also mitnichten um Willkür oder „Tugendterror“ (Stehr, CDU), sondern um Diskurs und Auseinandersetzung.
Und schon gar nicht geht es darum, das Theater als Ganzes oder einzelne Mitarbeiter*innen öffentlich an den Pranger zu stellen oder vor interne Tribunale zu zerren. Man hätte sich gewünscht, dass die Kritiker*innen der besagten Klausel sich die Mühe gemacht hätten, ihre Zielrichtung auf der Homepage einer der beiden Initiatorinnen einmal genau durchzulesen. Und es geht natürlich auch um den legitimen Schutz von von Rassismus betroffenen.
Statt sich also mit Inhalten und Zielsetzungen der Klausel auseinanderzusetzen (was ja Kritik nicht ausschließt), haben sich Teile der Belegschaft anscheinend entschlossen an die Öffentlichkeit zu gehen. Was durchaus berechtigt ist.
Nicht berechtigt und auch diffamierend ist es allerdings, wenn – wie in der lokalen Presse geschehen – geradezu hämisch die Qualität der letzten Produktion der Gruppe dafür genutzt wird, dem Anliegen des Trios seine Berechtigung abzusprechen. Und es zeugt von mehr als schlechten Stil, wenn ein ehemaliges Ensemblemitglied, offensichtlich „gebrieft“ von alten Freund*innen vor Ort, sich aus Bonn meint in die Debatte einmischen zu müssen und dafür auch noch spaltenweise Platz eingeräumt bekommt. Dies und das Niveau der Auseinandersetzung schaden dem Theater in der Tat. Nicht eine Klausel, die – wenn alles so perfekt im Theater ist, wie uns ihre Kritiker*innen glauben machen wollen – nie zur Anwendung kommen wird.
Zu hoffen ist, dass die Debatte damit nicht zu Ende ist, sondern als Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit dem rassistischen und kolonialistischen Erbe des europäischen Theaters als solches genutzt, der Konflikt also als Chance begriffen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Jörn Vanselow
aus der Avanti O. März 2019