Wie sind derzeit die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus, welche Folgen hat die Pandemie? Interview mit Alexandra Willer zum Gesundheitswesen in Zeiten von Corona, Kapitalismus und Krise.
Du bist ver.di-Vertrauensfrau und Personalrätin am Uniklinikum Essen. Der Personalrat hat die 12,5 Stunden-Schichten abgelehnt, die euer Vorstand einführen will.
Ja, als die Kolleginnen und Kollegen auf den Stationen das gehört haben, war die Empörung und Ablehnung groß. Selbst jetzt, wo nicht alle Betten belegt sind, ist die Arbeit auf den Covid-Stationen extrem anstrengend, allein schon wegen der vollen Schutzbekleidung. Auch jetzt infizieren sich immer wieder Kolleg*innen. Vorletztes Jahr haben bei uns hunderte Beschäftigte 30 Tage lang gestreikt, weil sie mehr Personal und Mindestbesetzungen gefordert haben. Doch nicht mal das, was damals zugestanden wurde, wird von der Klinikleitung eingehalten. Und jetzt sollten sie diesen Mangel mit 12,5 Stunden-Schichten auffangen? Nein, danke.
Wir kennen außerdem die Erfahrungen aus Wuhan. Dort wurden auch erst 12-Stunden Schichten gearbeitet. Dann aber wurden sie auf 6-Stunden-Schichten geändert, weil reihenweise Pflegekräfte auch durch die langen Schichten krank wurden.
Obendrein würde es wohl nicht bei einer einmaligen Sache bleiben. Bei der nächsten Grippewelle zum Beispiel, wenn mal wieder zu viel Personal ausfällt, kämen wahrscheinlich die nächsten 12-Stunden-Schichten. Es ist wirklich ein Irrsinn dieses Systems, dass die einen genau in dem Moment noch mehr und länger ausgebeutet werden sollen, wo gleichzeitig Hunderttausende andere in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden.
Nicht alle Berufsgruppen im Krankenhaus stehen momentan in der öffentlichen Wahrnehmung so da, wie Pflegekräfte und Ärzte.
Zuerst einmal grenzt auch die derzeitige „Aufmerksamkeit“ der herrschenden Politiker*innen und Medien für Pflegekräfte und Ärzt*innen an Verhöhnung. Es gibt große Danke-Plakate, und man diskutiert über eine Prämie von einigen hundert Euro für sie. Doch wofür? Dafür, dass sie heute für die Folgen der jahrelangen Einsparungen und Privatisierungen den Kopf hinhalten sollen. Statt solcher „Aufmerksamkeiten“ brauchen die Kolleg*innen mehr Personal, mehr Masken, mehr Schutzausrüstung…
In der Tat gibt es darüber hinaus weitere Berufsgruppen im Gesundheitswesen, die diese Krise mit voller Wucht abbekommen, die genauso gefährdet sind. Die Reinigungskräfte zum Beispiel müssen bei uns wegen der Infektionsgefahr sehr viel mehr reinigen, ohne dass auch nur eine Reinigerin zusätzlich eingestellt worden wäre. Und natürlich bekommen sie nur extrem rationierte Schutzausrüstung. In der privatisierten Küche werden wiederum 19 Kolleg*innen in Kurzarbeit geschickt. Sie haben Löhne, die kaum über dem Mindestlohn liegen, und müssen nun mit 60 % davon überleben – während in der Reinigung und bei anderen Hygienemaßnahmen dringend mehr Personal gebraucht würde.
Doch die jetzige Lage führt auch dazu, dass bei uns gerade in diesen Bereichen die Empörung wächst. Nicht wenige sagen sich: „Wir verdienen schon viel zu wenig, und dafür sollen wir jetzt auch noch unsere Gesundheit riskieren? Irgendwann reicht’s.“ Die Krankentransporter zum Beispiel haben sich zusammengetan, um eine Zulage und angemessene Schutzmasken zu fordern. Die Reinigungskräfte sind seit Jahren in eine Tochterfirma ausgegliedert, wo sie nur noch den Branchenmindestlohn bekommen. Jahrelang schon regiert hier ein Regime massiver Einschüchterung. Doch nun haben zum ersten Mal Reinigerinnen 300 Unterschriften gesammelt, um höhere Löhne und mehr Zeit zum Reinigen der Stationen zu fordern. Der Geschäftsführer der Tochterfirma (der gleichzeitig Personalchef im Uniklinikum ist) hat eiskalt erklärt, dass sie keinen Cent mehr bekommen werden. Und dass es eine Frechheit sei, die Corona-Krise „auszunutzen“. Diese Leute sind Meister in der Umkehrung der Tatsachen: Denn wer nutzt hier die Corona-Krise aus? Als Antwort hängen seitdem im ganzen Gelände Fotos, auf denen Beschäftigte des Klinikums ihre Solidarität mit den Reinigerinnen demonstrieren.
Diese Art von Aufmerksamkeit finde ich eigentlich die Wichtige. Von den Herrschenden haben wir keine Wertschätzung zu erwarten. Aber wenn wir uns zusammentun, wenn wir solidarisch sind und kämpfen, können wir uns Respekt verschaffen.
Siehst du eine Chance, dass die Erfahrungen aus der Corona-Krise dabei helfen, ein anderes Gesundheitssystem durchzusetzen?
Ein anderes Gesundheitssystem durchsetzen, im Kapitalismus? Nein, definitiv nicht. Seit fast 200 Jahren tötet dieser Kapitalismus. In Kriegen, durch Hunger, durch heilbare Armutskrankheiten. Und in der jetzigen Krise schafft es dieses System noch nicht mal ausreichend Schutzmaterialien zu produzieren, sodass sich viele Beschäftigte infizieren. Der Kapitalismus verlangt, dass Geschäfte viel zu früh wieder öffnen, damit „die Wirtschaft wieder in Schwung kommt“. Der Kapitalismus führt dazu, dass die Tagelöhner in den armen Ländern die Schutzvorschriften nicht einhalten können, weil sie und ihre Familien ohne Lohn verhungern. Dieses ganze verfaulte System muss weg.
Und dass das Gesundheitssystem in Deutschland wie in allen imperialistischen Ländern in den letzten Jahrzehnten dermaßen zusammengespart und privatisiert worden ist, liegt ja auch nicht an mangelnder Erfahrung der Politiker*innen. Es ist eine zwangsläufige Folge der wirtschaftlichen Dauerkrise, in der der Kapitalismus seit Jahrzehnten steckt. Aufgrund der gesättigten Absatzmärkte macht die kapitalistische Klasse immer weniger Profit mit der Produktion. Um ihre Profite trotzdem zu steigern, plündern sie die öffentlichen Kassen und eignen sich die Bereiche an, die bislang zum Teil von der Profitlogik verschont waren. Deshalb mussten die Krankenhäuser zusammengespart und so umgebaut werden, dass private Konzerne und Banken mit ihnen Gewinn machen können. Und deshalb wird diese – für Beschäftigte wie Patienten katastrophale – Entwicklung auch nach Corona weitergehen. Der hessische grüne Sozialminister besaß sogar die Dreistigkeit zu sagen, dass die Erfahrungen der Corona-Krise ein Beleg dafür wären, dass zentralisierte, große Krankenhäuser besonders effektiv seien – und die vielen kleinen Krankenhäuser daher ruhig weiter geschlossen werden sollten.
Was man jedoch sehr wohl hoffen kann ist, dass die Erfahrungen der letzten Wochen dazu beitragen, dass sich mehr Arbeitende den Kämpfen gegen die Verschlechterungen im Gesundheitswesen anschließen. Und das wird auch nötig sein. Denn die gigantischen Summen, die die Regierung in der durch Corona ausgelösten tiefen Wirtschaftskrise zur Rettung der Kapitalisten ausgibt, wird sie woanders einsparen müssen. Was bedeutet, dass die Angriffe im Gesundheitswesen schlimmer werden.
Um diese wirklich abwehren zu können, braucht es allerdings Kämpfe viel größerer Dimensionen. Hierfür müssen sich die Arbeitenden im Gesundheitswesen mit all den anderen Arbeitenden zusammentun, die in der Krise ihre Haut verteidigen – und in diesen Kämpfen wieder an die Perspektive einer anderen Gesellschaftsordnung anknüpfen. Erst dann, wenn der Kapitalismus gestürzt ist, wird es möglich sein, ein Gesundheitssystem zu entwickeln, das auf die bestmögliche Versorgung aller Menschen ausgerichtet ist.