Griechenland:
Suche nach Alternativen
Wenige Tage nach den Neuwahlen in Griechenland am 20. September 2015 besuchte Manos Skoufoglou auf seiner Rundreise durch die BRD auch Oberhausen. (Siehe Avanti O. Nr. 14.) Nachdem er die fatalen Auswirkungen der Memorandenpolitik auf die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen in Griechenland dargestellt hatte, sprach er auch über Alternativen. Seine Vorschläge wurden auf der Veranstaltung intensiv diskutiert.
Petra Stanius
SYRIZA hatte die Illusion geschürt, dass die Abwehr der Spardiktate mit einer Politik der nationalen Einheit ohne Bruch mit der EU möglich wäre. Die GriechInnen brauchten angeblich nur SYRIZA zum Wahlsieg verhelfen, um ihre Zukunftsaussichten deutlich zu verbessern.
Beim von der SYRIZA-geführten Regierung veranlassten Volksentscheid am 5. Juli 2015 lehnte eine deutliche Mehrheit der GriechInnen die Fortsetzung der Memorandenpolitik ab. Trotz dieses eindeutigen Votums gab die Regierung wenige Tage später ihre Zustimmung zu weiteren „Sparmaßnahmen“. Die Menschen in Griechenland waren daraufhin wie gelähmt: Anscheinend gab es keine Alternative zur Umsetzung der Memorandenpolitik.
Die resignierte Stimmung drückte sich einerseits in der hohen Wahlenthaltung von etwa der Hälfte der Wahlberechtigten und andererseits in der Wiederwahl der Regierung mit fast dem gleichen Ergebnis wie bei der vorangegangenen Wahl aus. Die GriechInnen fügten sich – zumindest zunächst einmal – der vermeintlichen Alternativlosigkeit der Politik der amtierenden Regierung.
Manos Skoufoglou bestritt jedoch nachdrücklich, dass es keine andere Handlungsmöglichkeit gegeben hätte, als sich dem Diktat der Troika zu beugen. Er stellte Alternativvorschläge vor, die von ANTARSYA entwickelt wurden:
• Frühere Kapitalkontrollen hätten den massiven Kapitaltransfer ins Ausland durch vermögende GriechInnen verhindern können.
• Die Regierung hätte sich weigern können, die Schulden zurückzuzahlen: Die Untersuchung eines parlamentarischen Ausschusses hätte ergeben, dass ein Großteil der eingeforderten Schulden illegitim sei. Außerdem sei die Tilgung dieser Schulden sozial nicht tragbar.
• Die Banken müssten vergesellschaftet werden. Außerdem müsste untersucht werden, wohin das Kapital transferiert wurde. Große Vermögen müssten besteuert werden.
• Große Unternehmen müssten entschädigungslos enteignet und vergesellschaftet werden. Durch Ausbeutung der Arbeitenden hätten sie zuvor schon genug profitiert. Die Arbeitenden hätten ein Recht auf Kontrolle dieser Unternehmen. Aufgrund der geltenden Gesetze sei diese Maßnahme mit einem Verbleib in der EU und in der Eurozone nicht vereinbar.
Im Anschluss an den Vortrag fand eine angeregte Diskussion statt:
Ein Besucher äußerte Zweifel daran, dass es richtig ist, für den Grexit – den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro – zu werben: Würde dies nicht bedeuten, die entsprechende Forderung von Schäuble zu unterstützen?
Ein weiterer Teilnehmer konnte sich die erfolgreiche Organisierung von Gegenmacht nur vorstellen, wenn sie international und über Organisationsgrenzen hinweg als Gegenwartsaufgabe begriffen würde. Wo sich die Frage stellte, wie das zu bewerkstelligen sei. Die Memorandenpolitik sei in Griechenland auf massive Gegenwehr gestoßen, aber das kleine Land würde von den in der EU tonangebenden Staaten erdrosselt. Sozialismus hielt er nicht für eine mögliche Lösung, da hierfür die Voraussetzungen fehlten.
Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob Griechenland in der Lage sei, sich selbst zu versorgen. Bezweifelt wurde auch, dass in Griechenland eine Macht existiert, die in der Lage wäre, Banken und Unternehmen zu übernehmen.
Manos Skoufoglou hielt es für fraglich, dass Schäuble tatsächlich beabsichtigte, Griechenland aus dem Euro zu werfen. Vielmehr hätte der diese Forderung als Druckmittel eingesetzt, da er wüsste, wie eng das griechische Kapital mit dem Euro verknüpft sei. Der Referent betonte, dass das Verlassen der Eurozone allein keine Lösung sei. Man müsste vielmehr von dem ausgehen, was die Menschen in Griechenland bräuchten. Die Umsetzung der nötigen Maßnahmen sei innerhalb des Euroraums nicht möglich. Erst nach dem Bruch mit dem Euro würde das eigentlich Wesentliche passieren. Strategien für ein Überleben ohne den Euro seien bereits entwickelt. Eine schwierige Zeit würde folgen: Aber würde es sich nicht lohnen, diesen Preis zu zahlen, damit es einmal besser werden kann?
Er stimmte zu, dass es Sozialismus in einem Land nicht geben könne. Aber Griechenland könnte Vorbild sein und andere ermutigen.
Manos Skoufoglou sah die wirtschaftlichen Möglichkeiten von Griechenland nicht so pessimistisch: Nach Schätzungen könnte Griechenland sich zu ca. 85 Prozent selbst mit Lebensmitteln und Arzneimitteln versorgen. Er zog Bolivien als Beispiel heran für ein Land, das viel ärmer sei als Griechenland und dennoch den Bruch mit dem Kapitalismus ohne katastrophale Folgen vollzogen hätte. Griechenland müsste Kooperationen anstreben, zum Beispiel mit Venezuela, aber auch mit anderen, wie etwa Russland.
Er hatte keine fertige Antwort darauf, welche Möglichkeiten die außerparlamentarische Linke hat, die Machtfrage zu stellen. Die Lage sei weiterhin instabil, und in der Krise könne sich schnell etwas verändern. Wichtig sei, dass die außerparlamentarische Linke klare Aussagen über ihre Absichten formuliere. Dies habe sie in der Vergangenheit versäumt, im Gegensatz zu SYRIZA, die wegen ihrer eindeutigen Zielvorstellungen einen steilen Aufstieg erlebt hätte. Auch ANTARSYA könnte so einen Aufstieg nehmen und zur Macht werden. Dafür müsste die Front ihre Unabhängigkeit bewahren und in Bündnissen eine wahrnehmbare Rolle spielen. Letztlich müsse die Macht auf die Lohnabhängigen übergehen, und dies sei nur über außerparlamentarische Kämpfe erreichbar.
Bei der Wahl am 20. September sei ANTARSYA noch nicht als Alternative wahrgenommen worden. Der Referent rechnet aber damit, dass dies sich in Zukunft ändern kann: Die Verhältnisse in Griechenland seien nicht stabil. Der Fokus würde sich von den Wahlen weg hin zur Straße bewegen. Und ANTARSYA sei auf der Straße und in den Gewerkschaften deutlich präsenter, als sich dies im Wahlergebnis widerspiegele. So sei es heute wichtig, dass ANTARSYA eigene Vorschläge entwickle.
ANTARSYA rufe zum Aufbau einer breiten ArbeiterInnenbewegung auf, in der alle willkommen seien, die kämpfen wollen und engagiere sich für selbstverwaltete Projekte in den Nachbarschaften.
Wesentlich sei, dass innerhalb der ArbeiterInnenbewegung eine bewusste Kraft entstünde. Internationale Solidarität sei weiterhin von großer Bedeutung, außerdem die praktische Vernetzung.
Am Ende der Veranstaltung bedankte der Referent sich für das Interesse der BesucherInnen und für die erfahrene Solidarität. Er begrüßte den Vorschlag eines Besuchers, eine internationale Kampagne für einen Schuldenschnitt für Griechenland ins Leben zu rufen.