Scherz, Satire, Wahnsinn und Big Data
oder
Wir brauchen eine Willkommenskultur für Datensammler
Ernst Kochanowski
Mutti Merkel auf dem IT-Gipfel am Donnerstag, den 17.11.2016 in Saarbrücken: „Denn das Prinzip der Datensparsamkeit, wie wir es vor vielen Jahren hatten, kann heute nicht die generelle Leitschnur sein für die Entwicklung neuer Produkte.“
Am Sonntag, den 27.11. 2016 fielen ca. 900.000 Router der Telekom einem Hackerangriff zum Opfer und wurden lahmgelegt.
Was haben diese beiden Ereignisse gemeinsam?
Nun, die eine fordert mehr „Datensouveränität“ und meint damit die Abkehr von der Datenminimalisierung, also vom Prinzip, dass möglichst wenige persönliche Daten verarbeitet und gespeichert werden. Und die anderen haben postwendend gezeigt, zu was diese Einstellung führt.
Was vielleicht viele wissen, noch mehr ahnen und die meisten aber völlig ignorieren, ist dies:
Wer seine elektronischen Gimmicks und Helferlein wie Unterhaltungsgeräte, Thermostate, Beleuchtung und was die schöne neue Welt alles so bereit hält für den modernen Menschen, wer also all dieses gerne so schön bequem mit seinem Smartphone von überall in der Welt im Griff haben will, der sollte auch wissen, mit was er sich dies erkaufen muss. Zum Beispiel mit einer unfreiwilligen und unmerklichen Weitergabe persönlicher Daten.
Aber noch wesentlich interessanter für alle Dunkelmänner und -frauen von dies- und jenseits der Gesetzesgrenze:
So ein Router ist ein ganz wunderbares Eingangstor. Dieses ist zwar nicht von jedem zu öffnen und ungesetzlich ist dies auch meist, aber darum fordern ja unsere Volksvertreter so was wie Datensouveränität: Wir sollen alle unsere Daten selbst schützen – wie auch immer das funktionieren soll. Dadurch werden wenigstens die Kriminellen aus Sicherheits- und sonstigen Behörden ein bisschen „legalisiert“. Gleichzeitig aber wird unser Leben immer mehr von jedem, der dafür bezahlen kann, kontrolliert und gesteuert. Wer könnte dies sein? Folge der Spur des Geldes und der Macht. Sie führt zu Konzernen, Regierungen und sonstigen, auch kriminellen Vereinigungen. Die Unterschiede sind fließend und in den angesprochenen Fällen nicht mehr vorhanden.
Noch war der erwähnte Angriff nicht erfolgreich. Hunderttausende TelekomkundInnen waren zwar vom Netz, aber bis jetzt ist nichts davon bekannt, dass Rechner gekapert wurden. Aber dies war gewiss nur ein bescheidener Anfang. Wenn alles so läuft, wie Merkel und Gabriel für alle Interessensgruppen es fordern, dass Daten nämlich nicht mehr minimalisiert werden dürfen, dann wird auch Telekomchef Timotheus Höttgens’ „NATO fürs Internet“ nicht für unsere Sicherheit sorgen. Aber die ist eh nicht der Sinn der Übung.
Die Vernetzung der Industrie 4.0 und das Internet der Dinge seien das größte Geschenk an die Industrie, das man aus Sorge vor Cyber-Attacken nicht zurückweisen dürfe. Die Botschaft des Telekom CEO: „Jeder einzelne muss aufrüsten!“ Am besten wohl mit den Sicherheitsprodukten der Telekom. In der Security-Sparte wurden ja auch gerade 1.200 MitarbeiterInnen eingestellt. „Wir wissen, wovon wir reden, und wir wissen, was wir tun!“, behauptet Höttgens als – der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen – Marketingmann des Jahres und hat vor allem die eigenen Umsätze im Blick.
Apropos „Nato fürs Internet“: Immer in der Geschichte, wenn von eigenem Machtanspruch, Unterdrückung und anderen Bösartigkeiten zu Lasten der Mehrheit der Menschen abgelenkt werden sollte, kamen irgendwelche fremden Völker als „Erbfeind“ (der Franzmann) oder „Schmarotzer“ (der Jud) als große Gefahr ins Spiel. Man muss Lügen nur oft genug wiederholen, dann werden sie zur Wahrheit, meinte in etwa der Massenmörder, Medienexperte und Volksaufklärer Joseph Goebbels. Seit dem nicht ganz „Tausendjährigen Reich“ ist dies der „Iwan“ oder der „Russe“.
Der WAZ braucht dies niemand mehr erzählen, sie weiß das. In ihrer Schlagzeile vom 30.11.2016 suggeriert sie eine Erklärung zum Telekomdesaster: „BND: Russische Hacker wollen deutsche Wahl manipulieren.“ Dafür gibt es zwar keine Beweise, aber die feuchten Träume neuer kalter Krieger alter Schule kommen trotzdem wie gerufen. Man muss nur Lügen oft genug wiederholen …