Antwort von Kurt-Dieter Jünger auf den Leserbrief von Wilhelm Hausmann (CDU, MdL NRW), versandt am 21.04.2020 an die Oberhausener Lokalpresse.
Verehrte Redakteur*innen,
die Beteiligung von einem Bundeswehrangehörigen im örtlichen Krisenstab bedarf einer eindeutigen Erklärung. Wir befinden uns zur Zeit zum Glück weder im Bürgerkrieg noch im Krieg um Toilettenpapier oder Atemschutzmasken. Die BRD befindet sich höchstens in einem „medizinischen – sekuritären Notstand“. Die vielen Helfer von Pflegekräften, Ärzten und Freiwilligen geben ihr Äußerstes, auch ohne Tagesbefehl und Flaggenparaden (siehe Die Zeit Nr. 16, S. 47 vom 8. April 2020, Interview mit dem Philosophen Peter Sloterdijk).
Die Beteiligung des Militärs dient lediglich dazu, im öffentlichen Raum das Militärische zu Selbstverständlichkeiten und zur Normalität erklären zu können. Bahnfreifahrten für Militärangehörige gehören in die gleiche Kategorie, ebenso wie die Werbung um Rekruten in Schulen.
Die dramatischen Grundrechtseinschränkungen – bei allem Verständnis – bedürfen der parlamentarischen Kontrolle. Viele Bundesverfassungsrichter und ebenso etliche Politiker (z .B. Herr Baum, FDP) sehen die fehlende parlamentarische Kontrolle der Exekutive und haben sie schon mehrfach kritisiert. Umso erschreckender ist es, wenn Dilettanten das demokratische Kontrollrecht auf das Dümmste in Zweifel ziehen.
Die Stunde der Wahrheit, der Demokratie, der EU und der Solidarität schlägt nach Beendigung der Corona-Krise. Der kostenlose Applaus für die vielen unterbezahlten, systemrelevanten Pflegekräfte und anderen sollte ihnen spätestens dann in Euro heim gezahlt werden.
Die endgültige Abkehr von der Just-in-time-Ökonomie und die Stärkung der eigenen ökonomischen Widerstandskraft, genannt Resilienz, in Form von gesicherten Lieferketten, der Versorgung mit ausreichendem Betten, gut ausgebildeten und bezahlten unverzichtbaren systemrelevanten Personen ist daher zwingend erforderlich.
Eine verpflichtende einjährige Ausbildung zum Pflegehelfer nach dem Schulabschluss statt Militärdienst wäre sicherlich eine gute Alternative (siehe Die Zeit Nr. 15, S. 35 vom 2. April 2020, Interview mit Herrn Eckhard Hirschhausen).
Die zähe, langwierige und hart verhandelte Rettung von möglichst 50 minderjährigen Mädchen von den circa 40.000 Corona-gefährdeten Flüchtlingen auf wunderschönen, sonnigen, griechischen Inseln steht im krassen Widerspruch zu umgehend eingeflogenen 40.000 Erntehelfern.
Dieser Zynismus ist keinesfalls zu überbieten. Der unbekümmerte Spargelesser sollte wissen, dass dutzende deutsche Großstädte und einige Bundesländer bereit sind, Geflüchtete aufzunehmen, um damit Humanität und Solidarität sichtbar zum Ausdruck zu bringen. Wohlwissentlich würde ihnen der Spargel vermutlich nicht mehr schmecken.
Wir können nur hoffen, und sollten uns tagtäglich dafür einsetzen, dass die anstehenden globalen Konflikte, speziell in Afrika und Südamerika, durch Solidarität und finanzielle Hilfen und ohne Militär zu lösen sein werden, wie es Josep Borrell, der de facto Außenminister der EU, einfordert (siehe Die Zeit Nr. 17, S. 6 vom 16. April 2020, Telefon-Interview mit Josep Borrell).
Nie wieder Krieg!
Die Vorgeschichte dieses Leserbriefes
Was hat ein Vertreter der Bundeswehr zu suchen im Krisenstab der Stadt Oberhausen, der zur Bewältigung der Corona-Krise eingesetzt wurde?
Diese berechtigte Frage warf Yusuf Karacelik von der Linke.Liste-Ratsfraktion Ende März mit einer Anfrage an die Stadt Oberhausen auf. Krisenstabs-Leiter Michael Jehn trat daraufhin die Flucht nach vorne an, skandalisierte die kritische Nachfrage und lenkte so von dem eigentlichen Skandal ab: einem Inlands-Einsatz der Bundeswehr, nicht vom Grundgesetz gedeckt und ohne nachvollziehbaren sachlichen Grund.
Eine Antwort auf die Frage gibt es bis heute nicht. Denn um Logistik und Ressourcen der Bundeswehr für Maßnahmen gegen die Pandemie nutzen zu können, braucht es so einen Vertreter nicht.
In einem Brief an die Oberhausener Lokalpresse begründete Cornelia Schiemanowski u.a. historisch, warum die Armee einer strikten Zivilkontrolle unterworfen werden muss.
Dass man politisches Urteilsvermögen und die Fähigkeit, sachlich zu argumentieren, nicht zwingend mitbringen muss, um Kreisvorsitzender oder Landtagsabgeordneter einer neoliberalen Partei zu werden, machte Wilhelm Hausmann mit seiner Antwort auf diesen Brief deutlich. Zur Klärung der aufgeworfenen Frage trug sein Schreiben nicht bei.