Für den 14. März lud das Oberhausener Bündnis für eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung Tobias Michel zu seinem virtuellen Treffen ein, um sich über die Auswirkungen der Corona-Krise zu Informieren. Der Experte für die Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz wies auf gefährliche Engpässe und Versäumnisse hin, die ihre Ursache in der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens und in kurzsichtigen Sparmaßnahmen haben.
Petra Stanius
Die Neuausrichtung des Gesundheitswesens – weg von der Deckung des Bedarfs der auf medizinische oder pflegerische Versorgung angewiesenen Menschen hin zur Erzielung von Profit – hat in eine Misere geführt.
Die COVID-19-Pandemie zeigt deutlich die verheerenden Auswirkungen der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens: Ein ursprünglich funktionierendes System wurde kaputtgespart.
Tobias Michel rechnete vor, was mit der Pandemie auf uns zukommen kann, indem er die bekannten Daten im Verhältnis auf Oberhausen übertrug:
Von 210.000 Einwohner*innen werden, über einen mehr oder weniger langen Zeitraum hinweg, 140.000 im glücklichen Fall geimpft – oder eine Infektion mit SARS-CoV-2 durchmachen. Tritt letzteres ein, werden 28.000 von ihnen schwer erkranken. 14.000 von ihnen werden im Krankenhaus behandelt werden müssen. Hierfür stehen 1.500 Krankenhausbetten auf Isolierstationen zur Verfügung.
Ganz eng sieht es aus bei den zu erwartenden 800 Patient*innen, die ein Intensivbett benötigen. Für ganz NRW gibt es 5.200 Intensivbetten, für Oberhausen stehen rechnerisch also ca. 60 zur Verfügung. Allerdings werden davon bereits 40 Betten für Herzinfarkte, Unfälle etc. benötigt, so dass nur 20 für COVID-19-Fälle verbleiben. Wenn man davon ausgeht, dass ein Bett jeweils für 10 Tage benötigt wird, so können in einem Monat maximal 60 Oberhausener*innen mit einem Intensivbett versorgt werden.
Es besteht also die Gefahr, dass es weniger Intensivbetten geben wird als Menschen, die sie benötigen. Und bis zu 1.200 Oberhausener*innen an COVID-19 versterben.
Personal ohne Schutz
Ein weiterer Engpass, der bereits tödliche Folgen hat, ist der allgegenwärtige Mangel an persönlicher Schutzausrüstung, auch in Intensivabteilungen, Pflegeheimen und Rehakliniken. Denn Warnungen vor einer drohenden Pandemie wurden über Jahre von den Verantwortlichen ignoriert, „eingesparte“ Bestände von Schutzausrüstung nicht wieder aufgebaut. [Siehe hierzu auch Kalt erwischt auf S. 8.]
Der dritte Engpass betrifft das Personal der genannten Einrichtungen selbst. 5 Prozent der positiv Getesteten gehören zu diesem Personenkreis – Beschäftigte von Kliniken und Pflegeheimen sind doppelt und dreifach gefährdet. Trotzdem erhalten sie keine zertifizierte persönliche Schutzausrüstung, jedenfalls nicht in der benötigten Menge. Wöchentliche COVID-19-Tests, die die Sicherheit sowohl von Beschäftigten als auch von Gepflegten deutlich erhöhen würden, werden nicht durchgeführt.
Hinzu käme noch die Gefährdung der Gesundheit von Pflegekräften durch 12-Stunden-Schichten, die in der Krise angeordnet werden können.
Fällt aber das Personal aus, nützt auch eine genügend hohe Anzahl an Intensivbetten nichts mehr.
Private entscheiden
In der Krise sind die Auswirkungen der Privatisierungen im Gesundheitswesen besonders fatal:
Staatliche Stellen wie das Gesundheitsamt überwachen die privaten Krankenhäuser und Pflegeheime und können ihnen bei Verstößen gegen Vorschriften Anweisungen erteilen.
Aber sie können nicht darüber entscheiden, welche Leistungen erbracht und wie Finanzmittel eingesetzt werden, wie viel Personal eingestellt wird. Und auch nicht über Arbeitsbedingungen und Maßnahmen zum Gesundheitsschutz. Dies alles entscheiden die Privaten selbst. Und auch, ob und wie sie ihre Entscheidungen offenlegen.
Dem Staat, und damit auch der Allgemeinheit, wurde die Einflussnahme auf einen existenziell wichtigen Bereich entzogen.
Dies ist der vierte Engpass, auf den Tobias Michel in seinem Vortrag hinwies:
Es mangelt im Gesundheitswesen an Transparenz, an Informationen und an Möglichkeiten, mit zu entscheiden. Und das in Zeiten einer Pandemie.