B. S.
Am dritten Novemberwochenende 2019 begingen die französischen „Gelbwesten“ ihren „Akt 53“. Vor einem Jahr, am 17. November 2018, hatte die Bewegung mit ersten Verkehrsblockaden und Protestversammlungen auf ihre Anliegen aufmerksam gemacht. Anlass war die angekündigte Erhöhung der Kraftstoffpreise, Ursache war jedoch die tiefsitzende Empörung über die enorme soziale Ungerechtigkeit in Frankreich.
Laut Angaben des französischen Innenministeriums gingen am Samstag, den 16. November 2019, frankreichweit insgesamt 28.000 Menschen auf die Straße und eine geringere Zahl am Sonntag, den 17. November. Ihrerseits sprachen die OrganisatorInnen des jüngsten „Gelbwesten“-Protests von knapp 40.000 Teilnehmenden.
Massive Repression
Dass die Bewegung trotz massiver Repression durch die Polizei, trotz politischer, medialer und juristischer Bekämpfung durch die Herrschenden nun schon über ein Jahr durchgehalten hat, ist allein schon ein Erfolg. 1.000 Verletzte, darunter 25 Menschen, die durch Gummigeschosse ein Auge verloren haben, 3.000 Verurteilungen zu insgesamt 1.000 Haftstrafen und eine Tote infolge eines Tränengaseinsatzes, – dies alles zeigt die Heftigkeit der Auseinandersetzungen und gleichzeitig die Widerstandskraft der Aktiven.
Die „Gelbwesten“ sind, was die aktive Beteiligung betrifft, derzeit weit entfernt von einer Massenbewegung. Allerdings konnten sie zeitweise auf die passive Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung bauen. Stets bildeten sie jedoch eine Art aktivistischer und zum Teil militanter „Avantgarde“, allerdings ohne jegliche vereinheitlichte Ideologie.
In den Anfängen fanden sich bei den Protesten nicht nur radikale Linke, sondern auch wütende und reaktionäre Menschen aus dem Kleinbürgertum, Menschen mit kurdischen Wurzeln, Militante aus dem faschistischen Spektrum, soziale Fragen aufwerfende Krankenschwestern und viele andere.
Rückzug der organisierten Rechten
Die „Gelbweste“ wurde alsbald zum Protestsymbol, das sich für unterschiedliche Anliegen nutzen ließ. Die organisierten rechten Kräfte haben sich mittlerweile jedoch überregional eindeutig zurückgezogen.
Aus ihrer Sicht wurde es zu unübersichtlich, zu unordentlich, zu gewalttätig, zu viel mit Linken durchmischt … Überdies haben es die organisierten Rechten nicht geschafft, die „Gelbwesten“ als solche zu einer Anti-Einwanderungs-Bewegung umzuformen, wie sie es vor allem in Zusammenhang mit den Debatten um den „Pakt für Migrantenrechte“ angestrebt hatten.
Die „Gewaltfrage“
Das politische Hauptproblem lag und liegt darin, dass in der öffentlichen Wahrnehmung, vermittelt über die bürgerlichen Medien, weitgehend die „Gewaltfrage“ dominiert(e). Die ganze Angelegenheit wird dadurch vornehmlich zum polizeilichen und „sicherheitspolitischen“ Problem, sowohl in den Augen der politischen Klasse als auch derjenigen, die die Medien unkritisch nutzen.
Selbstverständlich, und zu Recht, hat es auch heftige öffentliche Kritik an den Polizeieinsätzen gegeben. Und es gibt, einmal mehr, die obligatorische Diskussion darüber, wie viele Randalierer überwiegend eingeschleuste polizeiliche Provokateure gewesen seien.
Wie weiter?
Die Zukunft der „Gelbwesten“ wird entscheidend davon abhängen, was aus der Unterstützung der voraussichtlich bedeutenden Gewerkschafts- und Sozialprotestdemonstrationen ab dem 05. Dezember 2019 wird. Sie war auf einer Delegiertenversammlung der „Gelbwesten“ Anfang November 2019 in Montpellier beschlossen worden. Sie wird jedoch auch durch manche Kräfte der uneinheitlichen Bewegung explizit abgelehnt.
Bei den Protesten Anfang Dezember geht es vor allem um die „Rentenreform“, also den fortgesetzten Abbau des staatlichen Rentensystems. Seit 1993 haben alle „Reformen“ die Lebensarbeitszeit verlängert. Nur 1995 konnte durch massive Streiks im öffentlichen Dienst der „Plan Juppé“ verhindert werden.
Die Verbindung der „Gelbwesten“-Bewegung mit der sozialen Bewegung könnte beiden Bewegungen neuen Aufschwung geben.