Wer regiert die Stadt? Der Markt? Der Staat? Die Zivilgesellschaft?

Andrea-Cora Walt­her

Die Funk­ti­on der Kom­mu­ne in einer Demo­kra­tie hat die Chan­ce, sich immer wie­der den Bedürf­nis­sen der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, die in ihr leben, anzupassen.
Die „Ord­nungs­kom­mu­ne“ alter Prä­gung ist nicht mehr angesagt.

Leit­ziel die­ser Kom­mu­ne war Recht­staat­lich­keit, die die Rol­le der Kom­mu­ne als Obrig­keit fest­schrieb. Die Kom­mu­ne wur­de gesteu­ert durch hoheit­li­ches Han­deln. Hier­ar­chie war hier die Metho­de, die ihre Bür­ge­rin­nen und Bür­ger in ihrer Rol­le als Emp­fän­ge­rIn­nen hoheit­li­cher Anord­nun­gen wahrnahm. 
Immer­hin sorgt auch eine sol­che Kom­mu­ne für Infor­ma­ti­on ihrer Bür­ge­rin­nen und Bür­ger. Und so fin­den sich auch in der Vor­ha­ben­lis­te der Stadt Ober­hau­sen nur zwei „Vor­ha­ben“, in denen noch nicht ein­mal „Infor­ma­ti­on“ als Bür­ger­be­tei­li­gungs­for­mat vor­ge­se­hen sind – bei der Feu­er­wehr­leit­stel­le und bei der Stu­die „Woh­nen in Ober­hau­sen 2017“.

Dafür gibt es lei­der vie­le Vor­ha­ben, in denen nur „Infor­ma­ti­on“ vor­ge­se­hen ist; immer­hin 17 von 58, was knapp 30 % ent­spricht. Das schon als eine Form von „Bür­ger­be­tei­li­gung“ zu defi­nie­ren, ist aller­dings frag­wür­dig. In Zei­ten von der Gel­tung eines „Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­set­zes“ soll­te Infor­ma­ti­on doch so selbst­ver­ständ­lich sein, dass es kei­ner Erwäh­nung bedarf?
Aber es gibt ja durch­aus höhe­re For­men der Bür­ger­be­tei­li­gung. Und auch in der Vor­ha­ben­lis­te der Stadt Ober­hau­sen ist als nächs­te Stu­fe des Gestal­tungs­spiel­raums der Betei­li­gung die „Anhö­rung“ genannt. Gan­ze sie­ben Vor­ha­ben kom­men auf die Stu­fe der Anhö­rung zur Bürgerbeteiligung.

WSO-Fest auf dem John-Lennon-Platz, 13. Juni 2015. Foto: Andrea-Cora Walther.

WSO-Fest auf dem John-Len­non-Platz, 13. Juni 2015. Foto: Andrea-Cora Walther.

Die Kom­mu­ne als Dienstleister
Und tat­säch­lich über die Hälf­te der Vor­ha­ben sehen sogar eine Bera­tung vor (30 von 58). Damit aber kom­men wir schon fast zu einem ver­än­der­ten Ver­ständ­nis von Kom­mu­ne. Weg von Obrig­keit und Hier­ar­chie hin zu Dienst­leis­tung und Kundenorientierung. 
Die Kom­mu­ne als Dienst­leis­ter. Die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger als Kun­din­nen und Kun­den. Die Steue­rungs­me­tho­de ist das Management.
Das scheint sich mit dem Ver­ständ­nis auch der Ver­wal­tung der Stadt Ober­hau­sen zu decken, wenn es um Bür­ger­be­tei­li­gung geht. So kann man hier auf der Home­page der Stadt unter dem Stich­wort „Bür­ger­be­tei­li­gung“ lesen: 
„Bür­ger­be­tei­li­gung braucht Mei­nungs­aus­tausch, Trans­pa­renz und selbst­ver­ständ­lich auch Kri­tik, die wir als Chan­ce und nicht als Bedro­hung begreifen. […]
Bür­ger­be­tei­li­gung zu stär­ken – das ist ein wich­ti­ges Anlie­gen der Stadt Ober­hau­sen. Betei­li­gung eröff­net die Mög­lich­keit für alle betrof­fe­nen und inter­es­sier­ten Per­so­nen, ihre Anlie­gen bei der Ent­wick­lung von Plä­nen, Pro­gram­men und poli­ti­schen Pro­zes­sen zu ver­tre­ten und ein­zu­brin­gen. Die Mit­wir­kung an Ent­schei­dungs­pro­zes­sen erfor­dert Ein­satz­be­reit­schaft und den Wil­len zum Dia­log und gegen­sei­ti­gem Verständnis.“

Immer­hin“, freut sich die Lai­in, aber die Fach­frau wun­dert sich. Soll das alles gewe­sen sein? Sind wir nicht schon wei­ter? Haben wir so wenig Ver­trau­en in die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, dass wir zufrie­den sein kön­nen, wenn sie ein­mal alle fünf bis sechs Jah­re bei Kom­mu­nal­wah­len, alle vier bis fünf Jah­re die Land­ta­ge und alle vier Jah­re den Deut­schen Bun­des­tag durch die Abga­be ihrer Stim­me tat­säch­lich „mit“bestimmen?
„Mit­be­stim­mung“ ist die höchs­te Form der Betei­li­gung von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern. Sie fin­det sich exakt zwei Mal in der Vor­ha­ben­lis­te der Stadt Ober­hau­sen; so bei der „Zukunfts­stadt“ und bei den „Sport­hal­len­pa­ten“. Tat­säch­lich konn­te dann fix per „Dekret(?)“ von der Ver­wal­tungs­lei­tung in der Rats­sit­zung am 25. Juni 2018 die­se Form des Gestal­tungs­spiel­rau­mes für Bür­ger­be­tei­li­gung auf wei­te­re Vor­ha­ben aus­ge­wei­tet wer­den. So wer­den Spiel­platz­pla­nun­gen schon lan­ge unter star­ker Betei­li­gung und Mit­be­stim­mung der anwoh­nen­den Bür­ge­rin­nen und Bür­ger durchgeführt.

Kein Recht auf Beteiligung
Ansons­ten zieht sich Ober­hau­sen auf gel­ten­des Recht zurück. Die Stadt als Ord­nungs­kom­mu­ne, die für die Recht­staat­lich­keit zu sor­gen hat und als Obrig­keit die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger hier­ar­chisch lei­tet. Die­se Stadt muss nicht betei­li­gen. Neben dem Ver­fah­ren zur Auf­stel­lung von Bebau­ungs­plä­nen ist eine Bür­ger­be­tei­li­gung in Bau­ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren, die sich nach Lan­des­recht rich­ten, nicht vor­ge­se­hen. (Zitiert aus der Ant­wort der Dezer­nen­tin Sabi­ne Lau­xen zur Anfra­ge 27 von 2018.)
So ist die­se Ent­schei­dung im Rat der Stadt vom 18. Mai 2015, ein Kon­zept zur „Bür­ger­be­tei­li­gung in Ober­hau­sen“ zu ent­wi­ckeln, schon völ­lig frei­wil­lig (Druck­sa­che Nr. B/16/0805-01). Wenn dann als zen­tra­ler Bestand­teil des Rats­be­schlus­ses vom Mai 2015 die Erstel­lung einer Vor­ha­ben­lis­te vor­ge­se­hen ist, ist das völ­lig frei­wil­lig. Und wenn dann in die­ser Vor­ha­ben­lis­te bei eini­gen Bau­vor­ha­ben durch­aus auch Bür­ger­be­tei­li­gung bis hin zu Bera­tung vor­ge­se­hen ist, dann ist das völ­lig freiwillig.
Eine Betei­li­gung der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ohne Rechts­an­spruch, ohne Rechts­an­spruch zumin­dest auf „Gleich­mä­ßig­keit“ der Betei­li­gung bei ver­gleich­ba­ren Vor­ha­ben, ohne Mög­lich­keit, für die Nicht-Betei­li­gung wenigs­tens eine Begrün­dung zu erhal­ten, ist: „Will­kür“.
Und auf jeden Fall weit, weit weg vom Ziel einer „Bür­ger­kom­mu­ne“. Eine Kom­mu­ne, die Teil­ha­be aller ermög­licht. Eine Kom­mu­ne, die jedem Betei­lig­ten zutraut, dass jeder etwas ein­brin­gen kann in einen Ent­schei­dungs­pro­zess. Eine Kom­mu­ne, in der pro­fes­sio­nel­le Mit­ar­bei­te­rIn­nen den Bür­ge­rin­nen und Bür­gern der Stadt auf Augen­hö­he begegnen.

Wem gehört die Stadt?
Der Verwaltung? 
Der Poli­tik, die die­ser Ver­wal­tung die poli­ti­schen Zie­le vor­gibt und sie kontrolliert?

aus der Avan­tiO. Aug./Sept./Okt. 2018.
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