Die Wohl-Täter und ihre profitablen Geschäfte mit der Hartz IV-Armut
Teil 1
Die AutorInnen haben trotz guten Vorwissens und reichlich eigener Erfahrung bei der Recherche zu dieser Artikelserie gemerkt, dass das Thema „Profite mit der Hartz IV-Armut“ und deren Verwaltung noch deutlich umfangreicher ist als gedacht. Daher ist dieser erste Teil als Einführung gedacht, die zunächst einmal das Problemfeld umreißt, um es später in weiteren Artikeln zu vertiefen. In mehreren Teilen werden wir dann das Gebaren und die zum Teil regional unterschiedlichen Strukturen der Wohl-Täter vorstellen und beleuchten, um einen Blick hinter die Kulissen dieser gesellschaftlich mitunter leider hoch angesehen Organisationen zu werfen.
Armer Konrad
Egal wie sie nun heißen, eines ist allen gemein: Sie sind tätig als Zuarbeiter der „Arbeitsverwaltung“ mit ihrem Zwangssystem und den entsprechenden Repressionen gegen Arbeitssuchende. Dabei sind diese Geschäfte mit der Armut und deren Verwaltung für sie hochprofitabel.
Wir beginnen mit einem kurzen Abriss über die letzten ca. 10 bis 15 Jahre und Informationen über die Strukturen der Organisationen und Beispiele aus der Region Ruhrgebiet. In weiteren Teilen werden wir uns dann mit konkreten Beispielen beschäftigen, wie mit dem so genannten Gemeinnützigen Arbeitnehmerverleih, der Zurichtung von Erwerbslosen mit Hilfe von „Qualifizierungsmaßnahmen“ im Interesse einzelner Unternehmen sowie der Repression gegen Teilnehmende dieser Maßnahmen. Ebenso wird es Interviews mit Betroffenen aus den entsprechenden Bereichen geben, welche tiefere Einblicke in das zum Teil menschenverachtende Verhalten dieser Maßnahmenträger ermöglichen. Wir hoffen, damit diese Wohl-Täter ein wenig aus Ihrer Ecke des Gutmenschentums zerren zu können und Möglichkeiten zur passiven und auch aktiven Gegenwehr gegen dieses System aufzuzeigen.
Entwicklung
Mit der Einführung von Hartz IV im Jahre 2005 blühte förmlich eine Industrie von so genannten Qualifizierungsmaßnahmenträgern auf, die an die lukrativen Fleischtöpfe wollten, die aus dem Hartz IV-Konzept „Fördern und Fordern“ entstanden. Einige dieser Organisationen hatten zuvor bereits jahrelang in erheblich kleinerem Rahmen und (hier im Ruhrgebiet) mit der Ziel- bzw. Fördergebiet 2-Förderung für strukturschwache Regionen in diesem Bereich überwiegend mit EU-Geldern schon Ähnliches betrieben.
Mit der Einführung von Hartz IV und den Änderungen des Sozialgesetzbuches (SGB) gab es ihnen nun die Möglichkeit, ihr Gutmenschentum – je nach Organisation konfessionell oder ideologisch verbrämt – auf viel breitere und zunehmend verarmende Bevölkerungsschichten auszudehnen. Der Phantasie waren dabei (bis heute) kaum Grenzen gesetzt, ob „Sozialkaufhaus“, Tafelunwesen, Schnellqualifizierungen in HelferInnenbereichen mit Phantasieabschlüssen der IHK für halbjährliche Maßnahmen usw..
Es entstand ein zunehmend undurchsichtiges Geflecht von gGmbHs, gemeinnützigen Vereinen, Trägergesellschaften bis hin zu (immer noch) aktiven privaten Firmen auf der Basis von Unternehmergesellschaften, verknüpft mit gemeinnützigen Vereinen, die mit der Armut im Franchise-Konzept Profit machen.
So bekommen heute eigentlich alle Menschen, die von Hartz IV betroffen sind, es in ihrer jeweiligen Stadt mit irgendeiner Variante der Wohl-Täter zu tun:
Sei es aus purer Existenznot mit dem Tafelwesen oder mit Bewerbungstraining, mit Kursen über „wirtschaftliches Verhalten“ (damit Hartz IV reicht), mit Maßnahmen, um an „Arbeit gewöhnt“ zu werden, mit Zwangsarbeit im kommunalen Bereich (so genannter Gemeinwesensarbeit), mit Vermittlungen egal wo hin und zu welchem Lohn… Alles immer unter dem Motto: „Arbeit haben an sich stellt einen Wert dar“ – und nicht der Verdienst.
Das klappt natürlich nicht immer so reibungslos wie gewünscht – und so wird entsprechend großzügig mit den Repressalien des SGB umgegangen. Genauer: Nicht die Organisationen als solche verhängen Sanktionen (Kürzung von Hartz IV usw.), sondern die Arbeitsverwaltung, welche aber deren Meldungen und Empfehlungen gewöhnlich nahezu 1:1 folgt. Die Maßnahmeträger betätigen sich also als verlängerter Arm der Arbeitsverwaltung, wobei ihr Bild in der Öffentlichkeit als „Gutmenschen“ unbeschädigt bleibt.
Es haben sich im Ruhrgebiet erkennbar folgende Typen von Wohl-Tätern herausgebildet, mit jeweils individuellen Schwerpunkten:
In Mülheim/Ruhr und Gelsenkirchen (auch Gladbeck und Bottrop) „Generalisten“ – das sind Organisationen, die nahezu ein Monopol haben auf alles, was „Arbeitsförderung“ nach dem § 45 SGB III in den jeweiligen Regionen beinhaltet.
In Oberhausen tummeln sich und wetteifern gleich mehrere Träger um die attraktiven Fleischtöpfe der so genannten Arbeitsförderung, welche sich zum Teil auf unterschiedlichen Gebieten spezialisiert haben und sich darum weniger direkte Konkurrenz untereinander machen.
In Essen gibt es ein Konglomerat (EABG – Essener Arbeit-Beschäftigungsgesellschaft mbH) von teilweise unternehmernahen Organisationen und Verbänden, nebst den üblichen konfessionellen Protagonisten und zusätzlich ver.di, welches nach eigenen Angaben im Schnitt über 2.000 „Kunden“ ständig in Maßnahmen hält, jeweils ohne „Gemeinwesensarbeit“.
Profite und Vorteile
Alle Maßnahmen nach § 45 SGB III werden öffentlich ausgeschrieben, jedoch so, dass eigentlich bereits im Vorfeld klar ist, wer den Zuschlag bekommen wird, da unter anderem Vorerfahrung im jeweiligen Bereich nebst Räumlichkeiten und Ausstattung verlangt werden.
Was ist denn nun das Lukrative daran für die beteiligten Organisationen, insbesondere, da es ja zumeist gGmbHs bzw. gemeinnützige Vereine sind?
Dies darzustellen ist sehr komplex. Für die Konfessionellen ist es unter anderem die Ausweitung und der Erhalt ihrer Einflusssphäre in der jeweiligen Region (bis in den Bereich der kommunalpolitischen Entscheidung hinein), verbunden mit ihrer jeweiligen Ideologie, was ihnen ohne die Präsenz im Bereich der Arbeitsförderung so nicht glücken würde. Auch wird durch die Erlöse aus dem Bereich der „Arbeitsförderung“ der jeweilige Apparat aufrecht erhalten und erweitert.
Die durchgeführten Maßnahmen sind von Seiten der Arbeitsverwaltung zum Teil sehr gut bezahlt. Für so genannte 1-Euro-Jobber zum Beispiel gibt es je Person und Monat 500 bis 800 Euro. Das ist der ungefähre Bereich – genaue Zahlen unterliegen, oh Wunder, dem Geschäftsgeheimnis. Das heißt, dass bei 20 bis 25 Personen je Maßnahme schon erkleckliche Summen zusammenkommen. Abzüglich der wenigen Euro je Person und Fahrgeld bleibt da schon einiges über. Von diesem Geld werden oft Personen mit sozialpädagogischer Ausbildung als Aufsicht eingestellt mit Arbeitsverträgen, die an die Dauer der Maßnahme gekoppelt sind. Aufgrund ihres ungesicherten Beschäftigungsverhältnisses machen viele von ihnen nahezu alles, was Ihnen vorgegeben wird, mit.
So wird mit wenig Aufwand eine sprudelnde Einnahmequelle geschaffen.
Aufgrund der rechtlichen Besonderheiten für gGmbHs und gemeinnützige Vereine können diese aber nicht einfach Gewinne wie „normale“ Unternehmen an die Seite schaffen. Überschüsse, die es ja eigentlich nicht geben darf, werden (insbesondere bei den Konfessionellen) über etliche Umwege zur Quersubventionierung anderer Bereiche benutzt. Oder auch dazu, um Gehälter von GeschäftsführerInnen und den wenigen langjährigen Festangestellten (die zumeist Leitungsfunktionen inne haben) reichlich aufzublasen. All das wird bezahlt über die Menschen, die in diese Maßnahmen gezwungen werden.
Unternehmen, von denen einige selbst Mitglieder der jeweiligen Trägergesellschaften sind, profitieren unmittelbar von den „Qualifizierungsmaßnahmen“, wenn ihnen über diesen Weg laufend billige und „willige“ Arbeitskräfte zugeführt werden: für „Probearbeit“ zum Beispiel.
Ebenso gibt es mittlerweile seit einigen Jahren eine weitere Entwicklung, dass Bereiche wie der „gemeinnützige Arbeitnehmerverleih“ oder aber Produktionsbereiche wie das „Upcycling“ ausgegliedert werden in eine ganz normale Firma (GmbH), die nicht den rechtlichen Beschränkungen einer gGmbH unterliegt – wobei die Gesellschafter dieser GmbH dann wiederum die Gemeinnützigen sind. Der Spielraum für die Verwendung von Gewinnen wird auf diese Weise erweitert.
Auch Organisationen, die so genannte Sozialkaufhäuser und Ähnliches betreiben, langen oft richtig zu, wenn Möbel und andere Altwaren abgeholt werden. Beträge von einigen Hundert Euro nur für die Abholung einer Wohnungseinrichtung, die danach noch weiterverkauft wird, sind keine Seltenheit. Wobei die Fahrzeuge dafür auch zumeist aus Spenden stammen. Dies ist eher ein Geschäftsmodell der Konfessionellen, häufig direkt der Diakonie oder der Caritas. Diese unterliegen, wie alle konfessionellen und direkt an die jeweiligen Kirchen angebundenen Organisationen, keinerlei Offenlegungsvorschriften, so dass ihre Bilanzen der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Die Arbeit des Möbelschleppens, die im Rahmen der Ausübung dieses Geschäfts anfällt, als „Qualifizierung“ zu bezeichnen, ist eher im Bereich des Hohns angesiedelt.
Fortsetzung folgt.