Manuel Kellner
Von Oktober 1842 bis Januar 1843 war Marx leitender Redakteur der Rheinischen Zeitung. Die Geldgeber waren bürgerliche Liberale, doch nun wurde die Rheinische Zeitung radikal demokratisch. Das hieß damals, für eine demokratische Republik einzutreten, während rechtere bürgerliche Demokraten für eine konstitutionelle Monarchie waren.
In seinen Bemerkungen über die neueste preußische Zensurinstruktion (MEW 1, S. 3 ff.) kommt Marx zu dem Schluss: „Die eigentliche Radikalkur der Zensur wäre ihre Abschaffung.“ Das hält ihn nicht davon ab, die königliche Instruktion in Preußen kritisch zu sezieren und sich über sie lustig zu machen: „Gewiss! Ist die Zensur einmal eine Notwendigkeit, so ist die freimütige, die liberale Zensur noch notwendiger.“ Ein Zensuredikt von 1819, das nur provisorisch fünf Jahre lang gelten sollte, war immer noch in Kraft. Die Instruktion verhieß aber keine Verbesserung.
Wahrheit oder Unwahrheit sind gar nicht wirklich die Maßstäbe. Die Untersuchungen darüber sollen vielmehr „ernsthaft und bescheiden“ erfolgen. „Das Gesetz gestattet, dass ich schreiben soll, nur soll ich einen andern als meinen Stil schreiben! Ich darf das Gesicht meines Geistes zeigen, aber ich muss es vorher in vorgeschriebene Falten legen!“ Letztlich fordern diese Zensurbestimmungen eine „wohlwollende“ Haltung gegenüber der Obrigkeit, eine staatskonforme Gesinnung. Marx klagt an: „Das Gesinnungsgesetz ist kein Gesetz des Staates für die Staatsbürger, sondern das Gesetz einer Partei gegen eine andere Partei.“ Verboten sollen sein: ehrenkränkende Urteile nicht nur über Personen, sondern auch über ganze Klassen und die Nennung von Parteinamen! Das ist absurd, wie Marx mit dem Dichterwort anmerkt: „Weil jede Krankheit zuvörderst, wie Doktor Sassafras meint, um glücklich sie kurieren zu können, benamset werden muss.“
In seinen Artikeln zu den Debatten über die Pressefreiheit im Rheinischen Landtag (einer Ständevertretung) stellt Marx folgende Diagnose: „Wir finden nämlich den spezifisch ständischen Geist nirgend klarer, entschiedener und voller ausgeprägt, als in den Debatten über die Presse. Vorzugsweise gilt dies von der Opposition gegen die Pressfreiheit, wie überhaupt in der Opposition gegen die allgemeine Freiheit der Geist der bestimmten Sphäre, das individuelle Interesse des besonderen Standes […] sich am schroffsten und rücksichtslosesten herauswenden und gleichsam die Zähne zeigen.“ (MEW 1, S. 33 f.)
Fürstenstand, Ritterstand und städtische Patrizier polemisieren gegen die Pressefreiheit. Marx widerlegt ihre Spitzfindigkeiten. Zum Beispiel erklären sie die Masse des Volkes für unmündig und daher erziehungsbedürftig. Alles Menschliche sei eben unvollkommen. Marx erwidert: „Ist die Erziehung nicht auch menschlich, daher unvollkommen? Bedarf die Erziehung nicht auch der Erziehung?“ (MEW 1, S. 49.) Die wirkliche Erziehung ist nur möglich durch offenen öffentlichen Meinungsstreit.
Ein Redner verteidigt die Pressefreiheit als Teil der Gewerbefreiheit. Marx antwortet: „Die Pressfreiheit zu einer Klasse der Gewerbefreiheit machen, ist sie verteidigen, indem man sie vor der Verteidigung totschlägt.“ Das Schreiben darf keinem äußeren Zweck dienen: „Der Schriftsteller muss allerdings erwerben, um existieren und schreiben zu können, aber er muss keineswegs existieren und schreiben, um zu erwerben.“ (MEW 1, S. 70 f.)
Am Beispiel der französischen Presse prangert Marx die kommerzielle Unterdrückung der Freiheit an: „Die französische Presse ist nicht zu frei, sie ist nicht frei genug. Sie unterliegt zwar keiner geistigen Zensur, aber sie unterliegt einer materiellen Zensur, den hohen Geldkautionen. Sie wirkt daher materiell, eben, weil sie aus ihrer materiellen Sphäre in die Sphäre der großen Geldspekulationen gezogen wird.“ (MEW 1, S. 63.) Wer heute lebt, der denkt unwillkürlich an den Spruch de tu fabula narratur – von Deiner Geschichte wird hier erzählt!