Flücht­ling, woher kommst du – wohin gehst du?

Flücht­ling, woher kommst du – wohin gehst du?

Der Ver­wal­tungs­vor­stand der Stadt Ober­hau­sen hat ent­schie­den: Von den 32 über­prüf­ten Flä­chen im Stadt­ge­biet kom­men zunächst fünf Stand­or­te in Fra­ge, um neue Sam­mel­un­ter­künf­te für die ankom­men­den Flücht­lin­ge zu errich­ten. Die gute Nach­richt: Es ist nicht geplant, wei­ter­hin mas­sen­haft Wohn­con­tai­ner anzuschaffen.

Andrea-Cora Walt­her

Hier sind die Prei­se auf­grund der gestie­ge­nen Nach­fra­ge so in die Höhe geschos­sen, dass jede Alter­na­ti­ve dazu preis­wer­ter ist. Die neu­en Unter­künf­te sol­len unter der Regie der Ober­hau­se­ner Gebäu­de­ma­nage­ment GmbH (OGM) in Tafel­bau­wei­se errich­tet wer­den – also vor­ge­fer­tig­te Haus­ele­men­te in Form von Tafeln zum Bau von Holz­häu­sern mit Wär­me­dämm­fül­lung. Natür­lich sind alle Stand­or­te ein Kom­pro­miss aus den Prüf­kri­te­ri­en: Pla­nungs­recht, Bau­recht, zeit­li­che Ver­füg­bar­keit, sozia­les Umfeld, Kapa­zi­täts­grö­ße, Infrastruktur.
Immer­hin gibt die­se Pla­nung den Anschein, als sei Ver­wal­tung dies­mal vor­aus­schau­end und prä­ven­tiv vor­ge­gan­gen. Die Not­un­ter­kunft in der Tacken­berg­schu­le war­tet auf 100 Flücht­lin­ge, und schon wer­den die­se fünf Stand­or­te geplant, um 450 der in 2015 zu erwar­ten­den 750 Flücht­lin­ge auf­neh­men zu kön­nen. Die Hälf­te soll bis Som­mer fer­tig wer­den, und die letz­te Sam­mel­un­ter­kunft wird ab Okto­ber 2015 in der Sper­ber­stra­ße errichtet.

Die­se Pla­nung geht davon aus, dass von den 750 erwar­te­ten Flücht­lin­gen 300 Flücht­lin­ge direkt zurück­ge­schickt oder in pri­va­tem Wohn­raum unter­ge­bracht wer­den kön­nen. Allein was recht­fer­tigt die­se opti­mis­ti­sche Pro­gno­se? Die Rea­li­tät in Ober­hau­sen ist, dass es bis­her zu maxi­mal 30 Pro­zent gelun­gen ist, pri­va­ten Wohn­raum zu fin­den. Die durch­schnitt­li­che Woh­nungs­quo­te in NRW liegt bei 50,3 Pro­zent (Stand 09/2014). Auch wenn die Stadt zwi­schen­zeit­lich doch bereit ist, selbst die Miet­ver­trä­ge abzu­schlie­ßen, wür­de das Ziel, von 750 Flücht­lin­gen in 2015 gut 40 Pro­zent in pri­va­ten Wohn­raum zu ver­mit­teln, allen bis­he­ri­gen Erfah­run­gen wider­spre­chen. Woher die­se 38 bis 65 (je nach Grö­ße der Fami­li­en) zusätz­li­chen Woh­nun­gen neh­men? Sie sind heu­te nicht da und mor­gen auch nicht. Es gibt zwar 4.800 leer ste­hen­de Woh­nun­gen in Ober­hau­sen, aber die Koope­ra­ti­ons­part­ne­rin­nen, mit denen die Stadt ver­han­deln kann, haben kaum Leerstände.

Wohin gehst du, Flüchtling?
Wohin gehen die männ­li­chen Flücht­lin­ge, die noch immer im Haus A der Wei­er­stra­ße zu siebt in einem Raum unter­ge­bracht sind, der 20 qm groß ist? Der Flücht­lings­rat NRW for­dert eine Min­dest­grö­ße für die Unter­brin­gung von 9 qm pro Flücht­ling. Haus A muss drin­gend abge­ris­sen oder saniert wer­den. Und selbst danach wäre es nicht mög­lich, bis zu 130 Per­so­nen dort unter­zu­brin­gen. Wären dort Tie­re so beengt unter­ge­bracht, wür­den jeden Tag die Tier­schutz­ver­bän­de demonstrieren.
Die­se Men­schen kom­plett umzu­sie­deln, ist am Ver­hand­lungs­part­ner geschei­tert. Und jetzt? Kom­mu­ni­ka­ti­on und Infor­ma­ti­on wer­den von allen Sei­ten gefor­dert. Die Anwoh­nen­den wol­len ihre Ängs­te ernst genom­men sehen. Die ehren­amt­lich Arbei­ten­den inner­halb der Kir­chen, der NGOs, Ein­zel­per­so­nen, die sich enga­gie­ren, wol­len die Koor­di­na­ti­on der Hilfs­an­ge­bo­te. Es fin­den Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen im unmit­tel­ba­ren Umfeld der neu­en Stand­or­te statt – lei­der, nach­dem die­se Stand­or­te in der Zei­tung bereits benannt wor­den sind. So gibt es Zeit für Spe­ku­la­tio­nen und Schü­ren von Ängsten.

Infor­ma­ti­ons­an­ge­bo­te
Es gibt eine zen­tra­le Email-Adres­se, fluechtlingshilfe@oberhausen.de, bei der man alles los­wer­den kann, was man schon immer mal mit­tei­len woll­te. Es wird ein Online-Por­tal geben, in dem alle Kon­takt­adres­sen von allen Ver­bän­den, Ein­zel­per­so­nen, NGOs, die mit Flücht­lings­hil­fe zu tun haben, genannt wer­den – alle Ter­mi­ne, alle Ange­bo­te, sicher­lich auch Raum für Anre­gun­gen und Kritik.

Das Betreuungs„konzept“ (soweit von einem die Rede sein kann) sieht die Ein­be­zie­hung der ehren­amt­lich Arbei­ten­den zwin­gend vor. Ohne sie wäre die Stadt völ­lig hilf­los und über­for­dert. Um die jetzt über 1.000 Flücht­lin­ge küm­mern sich 1,5 sozi­al­päd­ago­gi­sche Haupt­amt­li­che. Ende März kom­men zwei Stel­len dazu. Die Ver­wal­tung hat den Wunsch nach einer Betreu­ungs­quo­te von 1:150, was bedeu­tet, eine sozi­al­päd­ago­gi­sche Stel­le küm­mert sich um 150 Flücht­lin­ge. Das wür­de dem Betreu­ungs­schlüs­sel ent­spre­chen, der in Bay­ern üblich ist. Einen ver­bind­li­chen Betreu­ungs­schlüs­sel gibt es in NRW nicht. Ledig­lich die Vor­ga­be, dass 4,5 Pro­zent der pau­scha­lier­ten Lan­des­zu­wei­sung für die sozia­le Betreu­ung zu ver­wen­den sind (§ 4 Abs. 1 S.2 Flü­AG NRW). Ande­re Bun­des­län­der haben einen Betreu­ungs­schlüs­sel von 1:120 oder 1:96. Aber egal, wie hier in Ober­hau­sen gerech­net wird: Bis Ende März 2015 sind dann 3,5 Stel­len für über 1.000 Flücht­lin­ge zustän­dig, und das ent­spricht einem Betreu­ungs­schlüs­sel von 1:286.

Einen sol­chen Betreu­ungs­schlüs­sel gibt es eigent­lich nir­gend­wo, und mit einer sol­chen Betreu­ungs­ka­pa­zi­tät kann man auch nicht gelas­sen auf die Ankunft der 750 neu­en Flücht­lin­ge bli­cken. Wir brau­chen nicht 3,5 sozi­al­päd­ago­gi­sche Stel­len für bis zu 1.750 Flücht­lin­ge, son­dern 12. Dem Rat der Stadt Ober­hau­sen wird in sei­ner Sit­zung Ende März ein Gesamt­be­richt vor­ge­legt wer­den, mit inter­kom­mu­na­lem Ver­gleich und einer mit der Kom­mu­nal­auf­sicht abge­klär­ten Per­so­nal- situa­ti­on. Bis dahin und dar­über hin­aus brau­chen wir Woh­nun­gen, die Flücht­lin­ge auf­neh­men und Men­schen, die sich mit den Flücht­lin­gen für sie ein­set­zen. Die Stadt ist über­for­dert, also han­deln wir …

Ja wir tei­len, und geben vom Überfluss
es geht uns doch viel zu gut,
und was wir bekom­men, ist tau­send­mal mehr:
und es macht uns unend­lich Mut.

(Aus der Soli­da­ri­täts­er­klä­rung von Kon­stan­tin Wecker für  den Tag der offe­nen Tür am 21.03.2015 im Flücht- lings­la­ger Weierstraße.)

aus der Ober­hau­se­ner Bei­la­ge zur Avan­ti 231, März 2015
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