Aus dem Rat­haus: Natio­na­lis­ten als Trä­ger der frei­en Jugendhilfe?

 

Andrea-Cora Walt­her

Auf der Sit­zung des Jugend­hil­fe­aus­schus­ses (JHA) am 31.01.2018 hat der Ver­ein Tür­ki­sche Gemein­de Ober­hau­sen e. V. die öffent­li­che Aner­ken­nung als Trä­ger der frei­en Jugend­hil­fe bean­tragt. Wie über den Antrag entscheiden?

Bereits im Vor­feld gab es Zwei­feln an der Recht­mä­ßig­keit der Sat­zung des Ver­eins, die einen posi­ti­ven Bezug auf die staat­li­che Ord­nung in der Tür­kei ent­hält. Die­se Beden­ken wur­den in einer Stel­lung­nah­me des Rechts­be­rei­ches der Stadt weit­ge­hend entkräftet.

Auch Zwei­fel an den päd­ago­gi­schen Fähig­kei­ten des Ver­eins, Hil­fe­leis­tun­gen in der Jugend­hil­fe zu geben, konn­ten nicht nur von dem Ver­ein selbst, son­dern auch von anwe­sen­den Mit­glie­dern der AG-Jugend­hil­fe im Gro­ßen und Gan­zen aus­ge­räumt wer­den. Der Ver­ein blickt auf eine lang­jäh­ri­ge Tätig­keit im Bereich der Jugend­hil­fe zurück und wird von den Koope­ra­ti­ons­part­ne­rIn­nen aus dem Bereich als hilf­reich für die Jugend­li­chen erlebt. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Den­noch blei­ben Zwei­fel, ob dem Ver­ein ein unein­ge­schränk­tes Ver­trau­en ent­ge­gen­ge­bracht wer­den kann:

Auf sei­ner Home­page fin­den sich 18 Fotos, die die Akti­vi­tä­ten der Tür­ki­schen Gemein­de doku­men­tie­ren. 16 Fotos mit Folk­lo­re, gemüt­li­chen Zusam­men­künf­ten, Sport. Und zuletzt dann zwei Fotos von einer Akti­on, an der die Gemein­de teil­ge­nom­men hat.
Es muss 2016 gewe­sen sein: Der Pro­test rich­te­te sich gegen die Ent­schei­dung des deut­schen Bun­des­ta­ges am 02.06.2016, die Mor­de an den Arme­ni­ern in 1915 als Völ­ker­mord zu bewer­ten. Auf dem Trans­pa­rent, hin­ter dem sich Mit­glie­der der tür­ki­schen Gemein­de Ober­hau­sens ver­sam­mel­ten, steht: „Völ­ker­mord an den Arme­ni­ern – Eine Lüge der Glo­ba­len Politik“.

Klare Ansage gegen das Erdogan-Regime: Protest gegen den Besuch von Ministerpräsident Yildirim, Oberhausen, 18.02.17.

Kla­re Ansa­ge gegen das Erdo­gan-Regime: Pro­test gegen den Besuch von Minis­ter­prä­si­dent Yil­di­rim, Ober­hau­sen, 18.02.17. Foto: Avan­ti O.

So weit, so schlecht. Nun ist das Leug­nen des Holo­caust eine Straf­tat, das Leug­nen des Völ­ker­mords an den Arme­ni­ern nicht.  Aber so ist nicht alles, was nicht straf­bar ist, auch gut. Und als ob es nicht noch schlim­mer kom­men könn­te, ergriff der ers­te Vor­sit­zen­de der Gemein­de auf der JHA-Sit­zung das Wort und stell­te die bis­he­ri­gen Erkennt­nis­se in den Schat­ten. In sei­nem Bemü­hen, die poli­ti­sche Inte­gri­tät des Ver­eins nach­zu­wei­sen, begrün­de­te er die­se Betei­li­gung an der Pro­test­kund­ge­bung damit, dass die Fra­ge, ob hier ein Völ­ker­mord statt­ge­fun­den habe oder nicht, eine his­to­ri­sche Fra­ge sei. Die Poli­tik sei also nicht befugt, dar­über zu ent­schei­den. Er selbst und der Ver­ein sei­en eher völ­lig unpo­li­tisch. Er selbst habe bereits sei­ne poli­ti­sche Neu­tra­li­tät dadurch bewie­sen, dass er eine Ein­la­dung des dama­li­gen Bun­des­kanz­lers Schrö­der abge­lehnt hat, anläss­lich eines Tref­fens von die­sem mit Erdogan.

War­um es einem „unpo­li­ti­schen“ Ver­ein wich­tig ist, sich an einer Pro­test­kund­ge­bung gegen eine im Bun­des­tag getrof­fe­ne Ent­schei­dung zu betei­li­gen, war­um dem Ver­ein das dann sogar so wich­tig ist, dass er es pro­mi­nent auf sei­ne Home­page stellt, die­se Ant­wor­ten blieb der Vor­sit­zen­de schul­dig. Da hilft auch nicht der Hin­weis, dass der Ver­ein sich am 01.05.2015 eben­falls an der anti­fa­schis­ti­schen Demons­tra­ti­on in Oster­feld gegen Pro NRW betei­ligt hat. Die Fotos auf der Home­page zei­gen, mit wel­chen Akti­vi­tä­ten der Ver­ein iden­ti­fi­ziert wer­den will.

Einem Ver­ein, der an einer Bünd­nis­ver­an­stal­tung teil­nimmt, an der auch Faschis­ten betei­ligt sind, kann nicht die Aner­ken­nung als frei­er Trä­ger der Jugend­hil­fe erteilt wer­den. Es bleibt die Hoff­nung, dass der Ver­ein eine Dis­kus­si­on neu beginnt bzw. eine viel­leicht bereits geführ­te Dis­kus­si­on wei­ter­führt und sich ent­schei­det, für wel­che Wer­te er ein­ste­hen und auf wel­chen er sei­ne päd­ago­gi­sche Arbeit auf­bau­en will.

Nach einer ein­stün­di­gen inten­si­ven Dis­kus­si­on wur­de die Ent­schei­dung auf die nächs­te Sit­zung des JHA im März verschoben.

aus der Ober­hau­se­ner Bei­la­ge zur Avan­ti, Januar/Februar 2018
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