Zoff um Apo
Bundesregierung verschärft PKK-Verbot, um Beziehungen zum türkischen Despoten Erdogan zu verbessern
Nick Brauns
Nach dem Abbruch der Friedensgespräche durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Frühjahr 2015 wurden die Haftbedingungen des seit 1999 inhaftierten Gründers und Vordenkers der Arbeiterpartei Kurdistans Abdullah Öcalan erneut verschärft. In totaler Isolation hat „Apo“, wie ihn seine Anhänger nennen, auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer keinerlei Kontakte zur Außenwelt. Zuletzt durfte ihn sein Bruder Mehmet im September 2016 besuchen, seitdem fehlt jedes Lebenszeichen. Seine Anwälte durfte Öcalan seit Juli 2011 nicht mehr empfangen. Das Recht, Briefe zu schreiben oder zu empfangen oder Telefonate zu führen, besteht für Öcalan nicht.
Nachdem türkische Medien behauptet hatten, Öcalan sei in Haft verstorben, begannen kurdische Organisationen am 9. Oktober die Kampagne „Die Zeit ist reif – Freiheit für Abdullah Öcalan“. Zehntausende Menschen sind seitdem weltweit mit Kundgebungen, Veranstaltungen, Hungerstreiks etc. aktiv geworden, um die Isolation des bekanntesten politischen Gefangenen der Türkei zu durchbrechen. In Deutschland traf diese Kampagne auf staatliche Repression. So attackierte die Polizei am 4. November – während sich in Ankara Bundesaußenminister Sigmar Gabriel mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu zur Kittung der angespannten deutsch-türkischen Beziehungen traf – in Düsseldorf eine Großdemonstration von Kurden, türkischen und deutschen Linken mit Knüppeln und Pfefferspray.
Der Umgang von Polizei und Justiz mit Öcalan ist in Deutschland allerdings nicht einheitlich. Das wurde im November deutlich, als ein Abdullah-Öcalan-Büchereibus mit einem großflächigen Bild des Politikers im Rahmen einer Kampagne für die politischen Gefangenen in der Türkei durch Deutschland tourte. In den Städten, die der Bus anfuhr, fanden neben Autokorsos Veranstaltungen zu den theoretischen Schriften Öcalans statt. Während die Kundgebungen in Stuttgart, Hamburg und Berlin ohne Probleme durchgeführt werden konnten, attackierte die Polizei in Hannover den Bus, kratzte das Öcalan-Porträt ab und nahm mehrere Kurden wegen ihrer Öcalan-T-Shirts fest. In Dortmund hatte die Polizei am folgenden Tag die Kundgebung gleich ganz verboten. Öcalan verkörpere nach „allgemeiner Rechtsauffassung“ die PKK, hieß es in der vom Oberverwaltungsgericht Münster bestätigten Verbotsverfügung.
Damit wird ignorierte, dass Öcalan etwa für die Bevölkerung in Rojava/Nordsyrien nicht der Vorsitzende einer in der Türkei aktiven illegalen Partei ist, sondern in erster Linie als Architekt des dort praktizierten rätedemokratischen und multiethnischen Gesellschaftssystems gilt. Und ein Großteil der Kurden aus der Türkei sieht in Öcalan schlicht seinen politischen Repräsentanten für erhoffte Friedensgespräche mit der Regierung.
Die bisherige innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag Ulla Jelpke nannte das Verbot in ihrem Dortmunder Wahlkreis „einen beschämenden Dienst für den Diktator Erdogan“ und sprach angesichts des uneinheitlichen Vorgehens der Polizei mit den Öcalan-Bildern von „ordnungspolitischer Kleinstaaterei ohne jede Rechtssicherheit“.
Mit einem Rundschreiben an die Landesinnenministerien vom März dieses Jahres hatte das Bundesinnenministerium bereits gelbe Fahnen, die Öcalan mit blauem Hemd zeigen, unter das seit 1993 geltende PKK-Verbot gestellt. Wie mit anderen Öcalan-Motiven zu verfahren sei, blieb indessen unklar. Am 14. November trafen sich in Berlin Vertreter der Innen- und Polizeibehörden von Bund und Ländern, um über den weiteren Umgang mit dem PKK-Verbot zu beraten. Konkrete Beschlüsse wurden – wie die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion mitteilte – nicht gefasst.
Doch deutet sich eine weitere Verschärfung an, um so das angespannte Verhältnis mit dem wichtigen Wirtschafts- und NATO-Partner Türkei wieder zu kitten. Denn Erdogan hatte die Bundesregierung zuvor mehrfach der Terrorunterstützung bezichtigt, weil auf einigen Kundgebungen in den letzten Monaten Bilder von Öcalan gezeigt werden konnten. Für die Profite der deutschen Industrie, darunter der Rüstungskonzern Rheinmetall, der in der Türkei eine ganze Panzerfabrik bauen will, sollen die demokratischen Rechte von hunderttausenden Kurden in Deutschland und generell allen Sympathisanten des Freiheitskampfes weiter eingeschränkt werden.
Das PKK-Verbot wird mittlerweile auch auf die syrisch-kurdischen Vereinigungen übertragen. Bewaffnete Beamte der bayerischen Polizei durchsuchten in den frühen Morgenstunden des 13. November die Münchner Wohnung des Kommunikationswissenschaftlers Kerem Schamberger und beschlagnahmten sein Notebook, sein Handy und USB-Sticks. Grund der Razzia waren Bilder mit Fahnen der syrisch-kurdischen Partei PYD sowie der Volks- und Frauenbefreiungseinheiten YPG/YPJ, die Schamberger in sozialen Medien gepostet hatte. Die Facebookseite des bekennenden Kommunisten mit deutsch-türkischem Familienhintergrund ist eine der wichtigsten alternativen deutschsprachigen Nachrichtenquellen zur Situation in der Türkei und Kurdistan.
Es handele sich um „in Deutschland verbotene Symbole von Unterorganisationen“ der PKK, heißt es im Durchsuchungsbeschluss über die von den USA im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) militärisch unterstützten Verbände YPG und YPJ. Demgegenüber hatte die Bundesregierung im Frühjahr auf eine Anfrage der Linksfraktion klargestellt, dass die syrisch-kurdischen Organisationen in Deutschland nicht verboten sind und ihre Symbole nur dann unter das PKK-Verbot fallen, wenn sie als Ersatz für PKK-Symbole verwendet werden.
Damit handelt es sich bei diesem Verbotserlass allerdings um reine Gesinnungsjustiz. Denn so obliegt es Polizei und Justiz, anhand der vermuteten Gesinnung einer Person zu beurteilen, ob der Träger einer YPG-Fahne damit in Wahrheit die verbotene PKK hochleben lassen will oder aber seine Solidarität mit der YPG aufgrund ihres Kampfes gegen den „Islamischen Staat“ zeigen will.
Dass es im Umgang mit der PKK auch ganz anders geht, bewies im September das Brüsseler Berufungsgericht in einem vom türkischen Staat und der belgischen Staatsanwaltschaft angestrengten Beschwerdeverfahren. Die PKK sei keine terroristische Organisation, sondern eine Partei in einem internen bewaffneten Konflikt, urteilten die Richter in einem sensationellen Urteil.
Angeklagt nach dem „Antiterrorgesetz“ waren in dem seit 2006 laufenden Verfahren 36 meist im belgischen Exil lebende kurdische Politiker sowie der Fernsehsender /Roj TV/ mit seinen Studios bei Brüssel. Zwar hatte ein Gericht bereits im November vergangenen Jahres entschieden, dass die „Antiterrorgesetze“ nicht auf die PKK anzuwenden seien, da der Widerstand der kurdischen Befreiungsbewegung aufgrund des fortgesetzten Krieges der Türkei als bewaffneter Konflikt im Sinne des Völkerrechts anzusehen sei. Doch nach wütenden Protesten aus Ankara war die Staatsanwaltschaft in Berufung gegangen.
Im Mai hielten die wegen Rädelsführerschaft in „terroristischen Organisationen“ angeklagten Repräsentanten des Volkskongresses Kurdistan (Kongra-Gel) Zübeyir Aydar und Remzi Kartal sowie Adem Uzun vom Kurdistan-Nationalkongress (KNK) ihre Verteidigungsreden. Ziel der PKK sei es nicht, „die Bevölkerung zu terrorisieren, sondern für die Rechte der Kurden zu kämpfen“, stellte das Gericht nun fest.
In Deutschland werden derweil weiterhin kurdische Aktivisten wegen vermeintlicher PKK-Kadertätigkeit, aber auch türkische Kommunisten wie im laufenden Verfahren gegen zehn mutmaßliche Mitglieder der maoistischen TKP/ML in München, nach dem Terrorparagraphen 129 b Strafgesetzbuch angeklagt und zu Haftstrafen verurteilt, obwohl ihnen hierzulande keinerlei Straftaten nachzuweisen sind.
Gegen solche imperialistische Klassenjustiz gegen kurdische und türkische Revolutionäre in Deutschland braucht es die Solidarität der Demokraten und Sozialisten.