Care Revo­lu­ti­on: Eine Ant­wort auf die Kri­se der Sorge-Arbeit.

Care-Revo­lu­ti­on:
Eine Ant­wort auf die Kri­se der Sorge-Arbeit.

Für die Haus- und Fami­li­en­ar­beit wer­den in Deutsch­land deut­lich mehr Arbeits­stun­den auf­ge­wandt als für Erwerbs­ar­beit. Doch trotz ihres erheb­li­chen Umfangs erfährt sie wenig Beach­tung: Zumeist wird sie unbe­zahlt im „pri­va­ten“ Bereich ver­rich­tet. Auch heu­te noch las­tet dabei die Haupt­ver­ant­wor­tung auf Frauen.

Petra Sta­ni­us

Die gesell­schaft­li­che Arbeits­tei­lung zwi­schen den Geschlech­tern wur­de durch die deut­lich gestie­ge­ne Frau­en-Erwerbs­tä­ti­gen­quo­te nicht grund­le­gend ver­än­dert. Zuneh­mend wer­den Sor­ge-Arbei­ten auch als Dienst­leis­tun­gen ange­bo­ten. Doch auch die ent­lohn­te Sor­ge-Arbeit wird zumeist von Frau­en erledigt.

Oft wird der Begriff „Care-Arbeit“ ver­wen­det, obwohl das Wort „Sor­ge-Arbeit“ für deutsch­spra­chi­ge Men­schen leich­ter ver­ständ­lich wäre. Der Grund dafür ist, dass der eng­li­sche Begriff „Care“ umfas­sen­der ist als das Wort „Sor­ge“: Er beinhal­tet sowohl, sich um etwas oder jeman­den zu sor­gen, als auch, sich aktiv zu küm­mern. „Care“ schließt also sowohl eine ver­ant­wor­tungs­be­wuss­te Hal­tung als auch ein ent­spre­chen­des für­sorg­li­ches Han­deln ein.

In die­sem Bei­trag sind mit Care- bzw. Sor­ge-Arbeit alle Tätig­kei­ten mit, am und für Men­schen gemeint: Erzie­hen, Pfle­gen, Leh­ren und Betreu­en, aber auch Rei­ni­gen, Ein­kau­fen, Kochen und die Selbst­sor­ge. Und zwar unab­hän­gig davon, ob die Arbeit ent­lohnt wird oder nicht.

Denn ob bezahlt oder unbe­zahlt: Bei Care-Arbeit han­delt es sich immer um gesell­schaft­lich not­wen­di­ge Arbeit. Sie ist Vor­aus­set­zung dafür, dass Pro­duk­ti­on über­haupt statt­fin­den kann. Und egal, wie sie orga­ni­siert wird: Geld kos­tet sie immer. Dadurch wird der Kuchen klei­ner, aus dem sich die Pro­fi­te des Kapi­tals speisen.

Wenn der Staat zum Bei­spiel kos­ten­lo­se Kita­plät­ze zur Ver­fü­gung stellt, müs­sen hier­für ent­spre­chend Steu­ern erho­ben werden. 
Wird die Kin­der­be­treu­ung dage­gen als kos­ten­pflich­ti­ge Dienst­leis­tung ange­bo­ten, so muss sie für die, die sie benö­ti­gen, auch bezahl­bar sein. Das erfor­dert ein all­ge­mein hohes Lohn­ni­veau. Dies gilt auch für das „Haus­frau­en­mo­dell“, das vor­aus­setzt, dass der „Ernäh­rer“ mit sei­nem Lohn die gan­ze Fami­lie unter­hal­ten kann.

Die Kri­se der Sorge-Arbeit
Heu­te gerät die Sor­ge-Arbeit von allen Sei­ten unter Druck. Auf län­ge­re Sicht ist damit das Funk­tio­nie­ren der Gesell­schaft ins­ge­samt in Fra­ge gestellt. Und heu­te schon lei­den die­je­ni­gen, die die Care-Arbeit aus­füh­ren müs­sen und die, die auf sie ange­wie­sen sind. Ins­be­son­de­re dann, wenn sie nur über begrenz­te finan­zi­el­le Mit­tel verfügen.

Der Staat zieht sich aus der Daseins­vor­sor­ge zurück und funk­tio­niert als Umver­tei­lungs­ma­schi­ne von unten nach oben. So ist stets zu wenig Geld da, wenn es um die Bezah­lung von Leh­re­rIn­nen, Pfle­ge­rIn­nen, Rei­ni­gungs­kräf­ten geht.

Das „Haus­frau­en-Modell“ ist über­holt, da Frau­en nach finan­zi­el­ler Unab­hän­gig­keit stre­ben – aber auch, weil die durch­schnitt­li­chen Löh­ne heu­te so nied­rig sind, dass ein ein­zi­ges Ein­kom­men zur Siche­rung des Lebens­un­ter­halts nicht mehr aus­reicht. Die meis­ten Haus­hal­te sind auch nicht in der Lage, für Care-Arbeit zu bezah­len. So muss die Sor­ge-Arbeit – zumeist von Frau­en – unent­gelt­lich neben der Erwerbs­ar­beit erle­digt wer­den. Sind dabei sowohl Kin­der als auch pfle­ge­be­dürf­ti­ge Ange­hö­ri­ge zu ver­sor­gen, ist die Bewäl­ti­gung des Arbeits­pen­sums kaum mehr zu schaf­fen. Gleich­zei­tig fehlt den meis­ten das Geld, um die ver­füg­ba­ren Dienst­leis­tun­gen zu bezahlen.

Es bleibt die Mög­lich­keit, auf pre­kä­re Arbeit zurück­zu­grei­fen, zum Bei­spiel auf pol­ni­sche Pfle­ge­kräf­te. Die­se Frau­en lösen in Deutsch­land das Pro­blem über­las­te­ter Fami­li­en und hin­ter­las­sen dafür in ihrer eige­nen Fami­lie in ihrem Her­kunfts­land eine Versorgungslücke.

Das Care Revo­lu­ti­on Netz­werk
Die Grün­dung des Netz­werks Care Revo­lu­ti­on ist eine Ant­wort auf die­se Kri­se der Sor­ge­ar­beit. Bun­des­weit haben sich mitt­ler­wei­le fast 80 Grup­pen und zahl­rei­che Ein­zel­per­so­nen zusam­men­ge­schlos­sen (sie­he unten). Die Koope­ra­ti­ons­part­ne­rIn­nen bil­den ein brei­tes Spek­trum ab: femi­nis­ti­sche Initia­ti­ven, sozia­le Pro­jek­te, orga­ni­sier­te Sex­ar­bei­te­rIn­nen, poli­ti­sche Grup­pen, gewerk­schaft­li­che Glie­de­run­gen u. s. w.

Regel­mä­ßig fin­den bun­des­wei­te Netz­werktref­fen statt. Grund­la­ge für eine erfolg­rei­che Netz­werk­ar­beit sind jedoch akti­ve Grup­pen vor Ort. Das Care Revo­lu­ti­on Netz­werk will ger­ne wei­te­re Initia­ti­ven und Ein­zel­per­so­nen dafür gewin­nen, gemein­sam Schrit­te in Rich­tung einer soli­da­ri­schen Gesell­schaft zu unter­neh­men und sich auch regio­nal zu vernetzen. 
Nähe­re Infor­ma­tio­nen zur Ent­ste­hung des Netz­werks, zu den Betei­lig­ten und zu anste­hen­den Akti­vi­tä­ten sind auf der Web­site zu finden: 
www.care-revolution.org.

Kon­takt vor Ort
Der RSB Ober­hau­sen ist Koope­ra­ti­ons­part­ner des Netz­werks. Wenn Ihr bzw. Eure Grup­pe Inter­es­se an einer Zusam­men­ar­beit im Rah­men von Care Revo­lu­ti­on habt, mel­det Euch bit­te bei uns und mailt an den RSB Ober­hau­sen.

Selbst­ver­ständ­nis des Netz­werk Care Revolution
„Das Netz­werk Care Revo­lu­ti­on ist ein bun­des­wei­ter Zusam­men­schluss von über 70 Grup­pen und Per­so­nen, die in ver­schie­de­nen Fel­dern sozia­ler Repro­duk­ti­on – Haus­ar­beit, Gesund­heit, Pfle­ge, Assis­tenz, Erzie­hung, Bil­dung, Woh­nen und Sex­ar­beit – aktiv sind. Gemein­sam ist ihnen der Kampf gegen Lücken in der öffent­li­chen Daseins­vor­sor­ge, die zu Über­for­de­rung und Zeit­man­gel füh­ren. Lang­fris­tig stre­ben wir neue Model­le von Sor­ge-Bezie­hun­gen und eine Care-Öko­no­mie an, die nicht Pro­fit­ma­xi­mie­rung, son­dern die Bedürf­nis­se der Men­schen ins Zen­trum stellt, und die Sor­ge­ar­bei­ten und Care-Res­sour­cen nicht nach ras­sis­ti­schen, geschlecht­li­chen oder klas­sen­be­zo­ge­nen Struk­tu­rie­run­gen verteilt.“
www.care-revolution.org

aus der Ober­hau­se­ner Bei­la­ge zur Avan­ti 245, Juni 2016
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