Demo­kra­ti­sche-Rech­te verteidigen!

Demo­kra­ti­sche-Rech­te verteidigen!

Grafik: Avanti O.P. S.

Von der Öffent­lich­keit weit­ge­hend unbe­merkt, wur­de vor eini­gen Mona­ten der § 113 Straf­ge­setz­buch (StGB) ver­schärft, der „Wider­stand gegen Voll­stre­ckungs­be­am­te“ unter Stra­fe stellt.
Ein neu­er § 114 StGB wur­de ein­ge­führt, der den ursprüng­lich im § 113 StGB mit gere­gel­ten Tat­be­stand „tät­li­cher Angriff“ nun geson­dert behan­delt und hier­für eine Min­dest­stra­fe von drei Mona­ten vor­sieht. Ein min­der­schwe­rer Fall als Aus­nah­me von die­ser Regel ist nicht vorgesehen.

Außer­dem wur­den im § 113 StGB zwei neue Tat­be­stän­de ein­ge­führt, wann Wider­stand gegen Voll­stre­ckungs­be­am­te als beson­ders schwe­rer Fall zu wer­ten ist.
Seit­dem reicht es, „eine Waf­fe oder ein ande­res gefähr­li­ches Werk­zeug“ bei sich zu füh­ren. Die Absicht, die­sen Gegen­stand auch als Waf­fe ein­set­zen zu wol­len, muss nicht mehr gege­ben sein. Der zwei­te neue Fall ist, dass die Tat mit ande­ren Betei­lig­ten gemein­schaft­lich began­gen wurde.

Was so wirkt wie eine Ant­wort des Staa­tes auf „Aus­schrei­tun­gen unge­kann­ten Aus­ma­ßes“, die es angeb­lich rund um G20 im Juli in Ham­burg gege­ben haben soll, geht die­sen Pro­tes­ten in Wirk­lich­keit vor­aus – und wird schon jetzt gegen Lin­ke, Gewerk­schaf­te­rIn­nen und ande­re enga­gier­te Men­schen eingesetzt.

Die Ände­rung ist bereits am 30. Mai 2017 in Kraft getre­ten. Als Begrün­dung für ihre Not­wen­dig­keit dien­te die Behaup­tung, dass Angrif­fe auf Poli­zei­be­am­te und Ret­tungs­kräf­te in den letz­ten Jah­ren deut­lich zuge­nom­men hät­ten, und dass die­se durch die bestehen­den Geset­ze nicht aus­rei­chend geschützt sei­en. Dass die­se Behaup­tun­gen unzu­tref­fend und die als Beleg dazu ange­führ­ten Zah­len falsch sind, haben Juris­tIn­nen schon im Vor­feld dar­ge­legt. Den­noch wur­den die Ände­run­gen vom Bun­des­tag mehr­heit­lich angenommen.

Ein „Gum­mi­pa­ra­graph“
Was für Hand­lun­gen wur­den in der Ver­gan­gen­heit mit dem – im Jahr 2011 bereits ver­schärf­ten – § 113 StGB straf­recht­lich ver­folgt? Und was kann nun beson­ders hart sank­tio­niert wer­den? Was gefähr­lich klingt, erfasst tat­säch­lich häu­fig „Taten“ wie diese: 
Ein Poli­zist will eine Demons­tran­tin weg­zer­ren. Sie hält sich an einem Zaun fest, setzt also ihre Kör­per­kraft aktiv ein. Das wäre nach herr­schen­der Mei­nung Gewalt.
Ein Demons­trant hebt die Hän­de vors Gesicht, um sich vor einem Knüp­pel­schlag zu schüt­zen. Der prü­geln­de Poli­zist kann die­se Bewe­gung als gegen sei­ne Per­son gerich­tet inter­pre­tie­ren und Anzei­ge erstatten.

Ein Drit­ter wirft wütend eine Fla­sche in Rich­tung Poli­zei. Die Poli­zis­ten ste­hen außer Reich­wei­te des Wurfs. Dies wäre ein Fall des neu­er­dings mit drei Mona­ten Min­dest­stra­fe beleg­ten „tät­li­chen Angriffs“. 
Eine vier­te Demons­tran­tin, die ohne kon­kre­ten Vor­wurf fest­ge­nom­men wird, hat ver­ges­sen, vor der Demons­tra­ti­on ihre Nagel­fei­le aus der Tasche zu neh­men. Da es theo­re­tisch mög­lich ist, jeman­den damit ernst­haft zu ver­let­zen, wäre dies neu­er­dings ein beson­ders schwe­rer Fall von Wider­stand. Dass sie die Fei­le nur für ihre Nägel benut­zen will, ist uner­heb­lich. Die Min­dest­stra­fe hier­für, wenn eine Ver­ur­tei­lung erfolgt: sechs Mona­te Haft.
Da alle vier „Taten“ aus einer Demons­tra­ti­on her­aus „began­gen“ wur­den, die ihrem Wesen nach eine gemein­schaft­li­che Hand­lung ist, könn­te es sich nach neu­em Recht auch des­halb um beson­ders schwe­re Fäl­le von Wider­stand handeln.

Für tat­säch­li­che Gewalt­hand­lun­gen gegen Poli­zis­tIn­nen braucht es die §§ 113 und 114 StGB nicht. Sie sind genau­so Kör­per­ver­let­zung wie Gewalt gegen ande­re Men­schen und nach den ent­spre­chen­den Para­gra­phen strafbar.

Aus­höh­lung eines Grundrechts
Schon häu­fig sind Men­schen, die ihr Demons­tra­ti­ons­recht wahr­ge­nom­men haben, auf­grund von absurd anmu­ten­den Vor­wür­fen nach § 113 StGB vor Gericht gelan­det. Nicht sel­ten waren es Demons­tran­tIn­nen, die Anzei­ge erstat­tet hat­ten wegen Kör­per­ver­let­zung im Amt, und dann ihrer­seits von den betref­fen­den Poli­zis­ten wegen angeb­li­chen Wider­stands anzeigt wur­den. Die schwam­mi­gen Tat­be­stän­de ermög­li­chen, dass der Para­graph nach Bedarf gegen ein­zel­ne unbe­que­me Per­so­nen oder Grup­pen ein­ge­setzt wer­den kann.

Wenn eine über­zo­ge­ne Poli­zei­ak­ti­on nach­träg­lich gerecht­fer­tigt wer­den soll, wird auch ger­ne auf nach die­sem Para­gra­phen erstat­te­te Straf­an­zei­gen verwiesen. 
Ein Gesetz, das auf­grund sei­ner unkla­ren For­mu­lie­run­gen Tür und Tor öff­net für frag­wür­di­ge Ankla­gen und Ver­ur­tei­lun­gen, wur­de also jetzt noch wei­ter gefasst und gleich­zei­tig die dro­hen­den Stra­fen erhöht.
Was als Schutz­vor­schrif­ten für zuneh­men­der Gewalt aus­ge­setz­ten Poli­zis­tIn­nen, Sol­da­tIn­nen, ande­ren Amts­trä­ge­rIn­nen und ihnen Gleich­ge­stell­ten daher kommt, ist tat­säch­lich eine schwer­wie­gen­de Ein­schrän­kung des Demonstrationsrechts.

Das Demons­tra­ti­ons­recht ist ein Men­schen­recht. For­mal ist das Grund­recht unan­ge­tas­tet. Durch die oben beschrie­be­ne Ver­schär­fung des § 113 StGB wird es jedoch (wei­ter) aus­ge­höhlt. Denn von die­sem ver­brief­ten Recht auch Gebrauch zu machen, wird zuneh­mend riskant.

Was tun?
Dies soll kein Anlass zu Resi­gna­ti­on sein, son­dern ein Grund, erst recht auf die Stra­ße zu gehen: Denn Rech­te wer­den dadurch ver­tei­digt, dass sie mög­lichst mas­sen­haft wahr­ge­nom­men wer­den. Es ist höchs­te Zeit, sich gegen die Bestre­bun­gen, demo­kra­ti­sche Rech­te immer wei­ter ein­zu­schrän­ken, zu wehren.

Denn die Ver­schär­fung des § 113 StGB steht nicht für sich allein. Seit Jah­ren wer­den demo­kra­ti­sche und sozia­le Rech­te abge­baut – nicht nur in Deutsch­land. Zu nen­nen sind hier die EU-Agen­da 2010 mit den dar­aus resul­tie­ren­den Hartz-Geset­zen, die hier­auf auf­bau­en­de EU-Agen­da 2020 und das ihrer Logik fol­gen­de „Tarif­ein­heits­ge­setz“. Und die Aus­wei­tung von Über­wa­chung und ande­ren Maß­nah­men, die angeb­lich dem Schutz vor Ter­ror die­nen, in Wirk­lich­keit aber ledig­lich unse­re Grund­rech­te einschränken.
Ein Ende die­ses Pro­zes­ses ist nicht abzu­se­hen: So plant die CDU/CSU die Aus­wei­tung des Straf­tat­be­stan­des des Land­frie­dens­bruchs: Nicht nur die­je­ni­gen wür­den sich danach straf­bar machen, die selbst aus einer Men­ge her­aus Gewalt aus­üben, son­dern auch die­je­ni­gen, die durch ihre blo­ße Anwe­sen­heit ande­ren den Schutz die­ser Men­ge bieten.

Wir begrü­ßen die Initia­ti­ve „Demons­tra­ti­ons­recht ver­tei­di­gen!“ von Gewerk­schaf­ten, Migran­ten- und Bür­ger­rechts- orga­ni­sa­tio­nen, Jour­na­lis­ten- und Anwalts­ver­bän­den, die sich gegen die­se Ent­wick­lung rich­tet. Und wir unter­stüt­zen die gleich­na­mi­ge Erklä­rung (sie­he www.demonstrationsrecht-verteidigen.de).

aus der Ober­hau­se­ner Bei­la­ge zur Avan­ti, Sep­tem­ber 2017
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