Einheitsfronttaktik als Gegenwehr?
Manuel Kellner
Mit bewaffneter Repression waren die rebellierenden ArbeiterInnen und Soldaten der Hauptstadt Petrograd zurückgedrängt worden. Die Bolschewiki wurden verleumdet und unterdrückt, und die Provisorische Regierung schien das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen.
Die Atempause für die von Kerenski geführte Regierung konnte aber aus vielen Gründen nicht lange andauern. Der wichtigste Faktor dafür war der völlige Misserfolg der beschlossenen kriegerischen Offensive. Vom 18. Juni bis zum 6. Juli 1917 fielen nach Angaben des russischen Hauptquartiers alleine an der Südwestfront 56.000 Mann. Als Ursache des Scheiterns wurde die Tatsache genannt, dass die Vorgesetzten bis hin zum Oberbefehlshaber bei den Soldaten keinerlei Autorität mehr genossen.
Kerenskis reaktionäres Programm
Oberkommandierender der Armee war damals L.G. Kornilow. Er entpuppte sich mehr und mehr als Kandidat für einen Militärputsch. Dieser sollte nicht nur gegen die Räte, sondern auch gegen die Provisorische Regierung und die Februar- Revolution richten. Sein extrem reaktionäres Programm verwirklichte allerdings die Regierung Kerenski in wichtigen Teilen selbst: Feldgerichte und Todesstrafe für Soldaten, Erhöhung des Brotpreises um das Doppelte, Schutz der Großgrundbesitzer vor Enteignungen, Vorbereitung der Räumung des revolutionären Petrograd, Zusammenziehung von konterrevolutionären Truppen um die Hauptstadt Petrograd im Einvernehmen mit Kornilow.
Am 26. August schiebt Kornilow den schwankenden Kerenski beiseite und führt Truppen gegen Petrograd. Die Bolschewiki sind zu dieser Zeit bestenfalls eine halblegale Partei, von der Kerenski-Regierung verfolgt, die ihrerseits von den Menschewiki und Sozialrevolutionären gedeckt wird. Die Partei Lenins und Trotzkis zögert aber keine Sekunde, um mit ihren politischen Gefängniswärtern gemeinsame Sache gegen den Putsch-General zu machen. Noch im Gefängnis erteilt Trotzki einer Delegation Kronststädter Matrosen folgenden Rat: „Legt Euer Gewehr auf die Schulter von Kerenski und schießt auf Kornilow.“ Sie hätten nämlich am liebsten gleichzeitig mit Kerenski und Kornilow abgerechnet.
Verteidigungskomitees gegen den Putsch
Überall wurden einheitliche Verteidigungskomitees gebildet, in denen die bolschewistische Minderheit bald die führende Rolle spielte. Kornilows Putschversuch endete ohne viel Blutvergießen, weil ihm seine Soldaten angesichts der Breite des Widerstands und der Aussicht, auf ihre Brüder und Kameraden schießen zu müssen, nicht mehr gehorchen wollten.
Trotzki schrieb 1932 rückblickend: „In den letzten Augusttagen wurde Kornilow niedergeschlagen, eigentlich nicht mit Waffengewalt, sondern durch die bloße Einmütigkeit der Massen. Sogleich nach dem 3. September schlug Lenin in der Presse den Menschewiki und Sozialrevolutionären einen Kompromiss vor: Ihr bildet die Sowjetmehrheit, sagte er ihnen. Nehmt die Macht, wir werden euch gegen die Bourgeoisie helfen; garantiert uns volle Agitationsfreiheit, und wir gewährleisten euch friedlichen Kampf um die Mehrheit im Sowjet! Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre lehnten den Kompromiss ab, das heißt den neuerlichen Vorschlag einer Einheitsfront gegen die Bourgeoisie. Diese Ablehnung wurde in den Händen der Bolschewiki ein machtvolles Werkzeug für die Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes, der sieben Wochen später Menschewiki und Sozialrevolutionäre hinwegfegte.“ (Schriften über Deutschland, Band 1, S. 228)