Scherz, Satire, Wahnsinn, Kapitalismus und tiefere Bedeutung
Gedanken zu der Resolution der Vollversammlung der IHK zu Essen vom 10. März 2015
„Die 500 größten transkontinentalen Privatkonzerne kontrollieren 53 % des Weltbruttosozialproduktes. Sie haben eine politische, ökonomische, finanzielle und ideologische Macht wie sie noch kein König, kein Kaiser und kein Papst in der Geschichte je inne hatte. Sie entfliehen jeglicher staatlicher, internationaler und gewerkschaftlicher Kontrolle. Ihr einziges Ziel ist Profitmaximierung in möglichst kurzer Zeit.“ Jean Ziegler im „Neuen Deutschland“ vom 8.4.2015.
Ernst Kochanowski
Dieser Tage hat die Vollversammlung der IHK zu Essen die Initiative der EU und der USA zum Abschluss des wunderbaren Abkommens „TTIP“ sehr gelobt. Diese Meldung ist ja an sich nicht mal die Zeit und das Papier wert dieselbe niederzuschreiben. Das Gegenteil – also die IHK findet „TTIP“ als ein Regelwerk des Wahnsinns – schon eher.
Die Begründungen der IHK, mit welchen sie das sogenannte Freihandelsabkommen verteidigt, sind allerdings schon interessant. Jedenfalls für Freunde von Scherz, Ironie und angewandtem Zynismus.
Meinen die Handelskammeralphatiere doch tatsächlich, „TTIP“ würde zu einseitig und zu viel nach Teilaspekten beurteilt. Diese werden dem möglichen wirtschaftlichen Nutzen nicht gerecht. Mensch erinnere sich: Alles, auch was die IHK von TTIP kennt, wurde mittels Whistleblowing oder Ähnlichem bekannt, und dies sind eben nur Teilas-pekte.
Damit ist aber noch nicht das Ende der Aufklärung erreicht. Wenn schon grenzwertig, dann schon richtig: „Hohe Standards sichern die Wettbewerbsfähigkeiten der deutschen Wirtschaft. Deshalb darf es bei den Verhandlungen nicht um Absenkung des hohen Verbraucherschutz-, Umwelt- und/oder Sozialstandards gehen!“, meint die IHK.
An alle KennerInnen der Materie: Bitte noch nicht lachen! Es geht noch weiter:
„Bei den zukünftigen Regelungen der Schiedsgerichtsverfahren und des Investitionsschutz sei unbedingt darauf zu achten, dass zukünftige Schiedsgerichtsverfahren mit dem höchsten Maß an Transparenz abgewickelt werden! Die bestehenden Rechtssysteme in der EU dürfen nicht ausgehöhlt werden.“
Jetzt dürft ihr lachen!
Alles was bis jetzt aus dem Inhalt von TTIP bekannt wurde, lässt die IHK als mit dem Klammerbeutel gepudert aussehen. Denn:
1. Nach Berechnungen so neoliberaler Institutionen wie dem Münchner Ifo Institut (Hans Werner Sinn!) werden die positiven wirtschaftlichen Folgen selbst nach X Jahren so gering sein, dass sie nicht eindeutig TTIP zuzuordnen wären. Die Wirtschaft würde also so gering wachsen wie vermutlich auch ohne TTIP.
2. Die Absenkungen von allen oben genannten Standards sind ein Hauptziel von TTIP! Gelten diese doch als Handelshemmnisse oder können mühelos als solche definiert werden.
3. Mit den sogenannten Schiedsgerichtsverfahren sollen (sonst würde TTIP nur ein Papiertiger sein) u. a. diese Standards mit Strafen belegt, ihre „Reform“ oder sogar Abschaffung also erzwungen werden. Dass dies nicht transparent und nur durch Aushöhlung von bestehenden Rechtssystemen mö- glich sein kann, dafür braucht mensch keine besondere Fantasie. Oder wie stellen Sie sich vor, dass das „Handelshemmnis“ Mindestlohn oder das „Investitionshemmnis“ Umweltschutz sonst in „verträgliche“ Grenzen gebracht werden könnte? Und werden irgendwo in der EU diverse Standards nach unten gefahren, dann muss aus Wettbewerbsgründen natürlich auch woanders dagegen vorgegangen werden. Wir kennen ja alle das schöne und schon etwas abgenudelte Wort „Dominoeffekt“, mit dem so ein Phänomen bezeichnet wird.
Und jetzt denken Sie mal darüber nach, ob die von der IHK Scherzbolde, Wahnsinnige oder nur Menschen sind, die mit geradezu religiöser Inbrunst ein System retten wollen, welches vermutlich in der Zukunft die Menschheit selbst als „Handelshindernis“ erkennen wird.
Vor welchem Schiedsgericht wird dann aber wer klagen?
Dokumentation der Resolution der Vollversammlung der IHK zu Essen vom 10. März 201
Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP)
Die Vollversammlung der IHK zu Essen begrüßt die Initiative der EU-Kommission und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zum Abschluss eines Transatlantischen Freihandelsabkommens. Die auf Einzelaspekte verengte öffentliche Diskussion wird dem möglichen wirtschaftlichen Nutzen von TTIP nicht gerecht.
Von herausragender Bedeutung ist in TTIP – neben dem Abbau von Zöllen – die Harmonisierung bzw. gegenseitige Anerkennung von Normen, Standards und Zertifizierungen, wo möglich und sinnvoll. Darüber hinaus sind Erleichterungen bei Geschäftsreisen und bei der Entsendung von Mitarbeitern in die USA anzustreben.
Hohe internationale Standards sichern die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft! In den weiteren Verhandlungen darf es – wie auch bereits im EU-Verhandlungsmandat festgeschrieben – ausdrücklich nicht um die Absenkung der hohen europäischen Verbraucherschutz-, Umwelt- oder Sozialstandards gehen. Das gilt des Weiteren auch für weitere Bereiche, wie dem in Deutschland geltenden System der Daseinsvorsorge oder dem „Drei-Säulen-System“ im Finanzsektor. Ebenso darf die Förderung von Kunst und Kultur nicht gefährdet werden.
Sollten Regelungen zum Investitionsschutz und zum Investor-Staat-Schiedsverfahren Gegenstand der Verhandlungen sein, so ist darauf zu achten, dass künftige Schiedsgerichtsverfahren mit einem höchsten Maß an Transparenz durchgeführt werden. Bestehende Rechtssysteme in der EU dürfen nicht ausgehöhlt werden.
Von der EU-Kommission ist zu fordern, durch weitgehende Transparenz im Rahmen des weiteren Verhandlungsprozesses eine fundierte Meinungsbildung zu ermöglichen.
TTIP hat das Potenzial, Wegbereiter für multilaterale Handelsabkommen zu werden. Diese sind für auslandsaktive Unternehmen grundsätzlich vorteilhafter als bilaterale Abkommen – nach jetzigem Stand jedoch unrealistisch. Es gilt in TTIP innovative Lösungen zu vereinbaren, von denen Impulse für multilaterale Abkommen ausgehen – z.B. im Rahmen der World Trade Organization (WTO).
Wir sind davon überzeugt, dass sich ein gut verhandeltes TTIP-Abkommen insgesamt positiv auf Bürger und Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks auswirkt.