Zukunft = „Industrie-4.0“?
Digitale Technologien ließen sich auf unterschiedlichste Weise einsetzen. „Industrie-4.0“ aber ist ein neoliberales Konzept für die Digitalisierung der Gesellschaft, das keine Alternative kennt.
Petra Stanius
Stehen wir an der Schwelle zur vierten industriellen Revolution?
Mit der ersten industriellen Revolution wurde mittels Wasser- und Dampfkraft die Produktion mechanisiert. Mit der zweiten wurde durch den Einsatz von elektrischer Energie und Fließbändern Massenproduktion möglich. Die dritte brachte mit der Informationstechnik die ganzheitlichen Produktionssysteme (GPS) mit computerunterstützter Planung, Steuerung und Fertigung hervor.
In den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren wird die Wirtschaft nun eine neue Stufe der technischen Entwicklung erklimmen, die die Produktion revolutionieren und umfassende gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen wird. In welche Richtung diese Veränderungen gehen werden, steht bereits heute im Wesentlichen fest.
Dies verkünden zumindest die Propagandisten von „Industrie-4.0“.
Ob der Begriff „Revolution“ für die Fortschritte bei den digitalen Technologien angebracht ist, kann erst im Rückblick eindeutig bestimmt werden. Es spricht jedoch einiges dafür, dass „Digitalisierung“ etwas qualitativ anderes ist als der bloße Einsatz von Computern.
Die Verfechter von „Industrie-4.0“ – bzw. vergleichbaren Konzepten weltweit – sind dabei an einer ergebnisoffenen Diskussion über Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Gesellschaft nicht interessiert.
Rendite zählt
Der Einsatz digitaler Technologien an sich ist nichts Neues. Wir erfahren längst seine Auswirkungen: ständige Erreichbarkeit, Arbeitsverdichtung, Wegfall oder Entwertung bestimmter Tätigkeiten, Überwachung …
Was vom technisch Machbaren tatsächlich umgesetzt wird, hängt unter den gegebenen Verhältnissen wesentlich von den Renditeerwartungen der Unternehmen ab. Die erheblichen Investitionen, die erforderlich würden, müssten sich voraussichtlich lohnen. Auch Flexibilisierung dient in erster Linie der Steigerung der Gewinne, nicht den Bedürfnissen der Beschäftigten.
Standort-Werbung
„Industrie-4.0“ ist ein Marketingbegriff. Dahinter steht ein Programm, das Deutschland zum Gewinner der weltweiten kapitalistischen Krise machen und seine dominante Position in Europa sichern soll. Im Koalitionsvertrag der GroKo nimmt die Digitalisierung samt dem „Zukunftsprojekt Industrie-4.0“ viel Raum ein. Die GroKo bezieht sich dabei auf die „Digitale Agenda“ der Europäischen Union, einen Bestandteil der EU-Agenda 2020.
Erklärtes Ziel ist die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland, was angeblich auch im Interesse der abhängig Beschäftigten und ihren Familien (in Deutschland!) ist: Die technische Entwicklung dürfe nicht verschlafen werden, Deutschland müsse Vorreiter sein. Der zügige Einstieg in „Industrie-4.0“ wird als alternativlos dargestellt. Verbunden wird dies mit der Warnung an die Gewerkschaften, den Prozess nicht mit Forderungen zu blockieren, da dies Arbeitsplätze gefährde.
Das „Zukunftsprojekt“ soll also auf Kosten anderer Länder und der Lohnabhängigen auch in Deutschland gehen.
Fortschritt?
Anstatt dem Werberummel aufzusitzen und das „Zukunftsprojekt“ als alternativlos hinzunehmen, um es am Rande „mitzugestalten“, sollten wir hier genauer hinsehen. Die IG Metall ist als einzige Gewerkschaft Teil der „Plattform Industrie-4.0“, aber auch die anderen stellen das Projekt nicht grundsätzlich in Frage. An vielen Punkten ist jedoch Widerstand angesagt, da sich hinter dem vermeintlichen Fortschritt tatsächlich der weitere Abbau von Rechten abhängig Beschäftigter, die Ausweitung von Überwachung und die Zerstörung der Grundlagen von Demokratie verbergen.
Außerdem sollten wir überlegen, wie digitale Technologien tatsächlich dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen können, zum Beispiel durch Verbesserung von Arbeitsbedingungen und durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.
Die Avanti O. wird sich in loser Folge mit unterschiedlichen Aspekten von „Industrie-4.0“ und allgemein mit Chancen und Risiken der Digitalisierung befassen. Einen Überblick über das, wofür „Industrie-4.0“ steht, und welche Folgen damit voraussichtlich verbunden sind, soll das – sicherlich unvollständige – folgende Schaubild geben.