Linie 105?, Guter ÖPNV für alle!

Brau­chen wir die Linie 105?

Wir brau­chen einen guten ÖPNV für alle!

Petra Sta­ni­us

Der Stadt­rat hat beschlos­sen, dass die Ober­hau­se­ner Bür­ge­rIn­nen am 8. März 2015 über die Ver­län­ge­rung der Stra­ßen­bahn­li­nie 105 ent­schei­den sollen.

Der Abriss des Hau­ses der Jugend im vor­ver­gan­ge­nen Jahr erfolg­te in einer Nacht-und-Nebel-Akti­on. Ein Bür­ger­be­geh­ren für den Erhalt von Stadt­teil­bä­dern, für das mehr als 16.000 Unter­schrif­ten gesam­melt wur­den, wur­de im Jahr 2007 mit dem Hin­weis auf Form­feh­ler abgewehrt.

Dies sind nur zwei mar­kan­te Bei­spie­le dafür, wel­ches Ver­ständ­nis von Demo­kra­tie und Mit­be­stim­mung wir von der Ober­hau­se­ner Stadt­spit­ze gewohnt sind. Bei der Ent­schei­dung über die Linie 105 weicht sie von ihrer übli­chen Pra­xis ab. Dies ist begrü­ßens­wert, wirft aber auch die Fra­ge auf, war­um der Rat aus­ge­rech­net hier von sich aus auf sein Ent­schei­dungs­recht verzichtet.

Wird hier wie­der ein­mal die öffent­li­che Hand pri­va­ten Unter­neh­men kos­ten­los Infra­struk­tur zur Ver­fü­gung stel­len? Pro­fi­tie­ren wür­den von der ver­län­ger­ten 105 sowohl das Cen­tro als auch die künf­ti­gen Ansied­lun­gen auf dem Stahl­werks­ge­län­de, wie mut­maß­lich die Unter­neh­mens­grup­pe XXXL mit dem Möbel­haus Rück. Die auf­wän­di­ge Wer­be­kam­pa­gne für die 105 macht eher miss­trau­isch, als dass sie über­zeu­gend wirkt.
Der RSB Ober­hau­sen ist den­noch für die Ver­län­ge­rung der Linie 105. Wir sind nicht der Mei­nung, dass es sich hier um ein unbe­zahl­ba­res Leucht­turm­pro­jekt han­delt. Es ist not­wen­dig, dass städ­te­über­grei­fen­de Ver­bin­dun­gen aus­ge­baut wer­den. Ob die Linie 105 der wich­tigs­te Lücken­schluss ist, oder ob es dring­li­che­re Pro­jek­te gäbe, sei ein­mal dahin gestellt. Aber es wäre ein Anfang.

Unzwei­fel­haft wäre es sinn­voll, zunächst ein Kon­zept für einen städ­te­über­grei­fen­den öffent­li­chen Per­so­nen­nah­ver­kehr zu erstel­len und dann ein­zel­ne Maß­nah­men in Angriff zu neh­men. Aller­dings wird ein Ver­zicht auf die 105 weder zu einem sol­chen Kon­zept noch zum Aus­bau ande­rer Lini­en füh­ren – son­dern den schlech­ten Ist-Zustand bes­ten­falls auf­recht erhal­ten. Wir erhof­fen uns von der Dis­kus­si­on um Sinn und Unsinn der Linie 105 eine umfas­sen­de Debat­te über die Bedeu­tung des ÖPNV, über die Not­wen­dig­keit des Aus­bau und sei­ner Finanzierung.

War­um gibt es in Mül­heim die Über­le­gung, die Stra­ßen­bahn ein­zu­stel­len? Es ist – mit umge­kehr­tem Vor­zei­chen – der­sel­be Grund, war­um in Ober­hau­sen (aus­ge­rech­net) die Linie 105 ver­län­gert wer­den soll: Die Gewäh­rung, oder eben die Nicht-Gewäh­rung, von öffent­li­chen Zuschüssen.
Dem öffent­li­che Nah­ver­kehr wird immer mehr die finan­zi­el­le Grund­la­ge ent­zo­gen. Die immensen – nicht nur finan­zi­el­len – Kos­ten für den Auto­ver­kehr, die von der All­ge­mein­heit getra­gen wer­den müs­sen, sind dage­gen sel­ten ein Thema.
Die durch „Spar­maß­nah­men“ künst­lich arm gehal­te­nen Kom­mu­nen sehen sich gehal­ten, mög­lichst wenig Geld für den ÖPNV zur Ver­fü­gung zu stel­len. Nicht zuletzt wur­den die Bun­des­mit­tel in den ver­gan­ge­nen Jah­ren erheb­lich gekürzt, z. B. für die Beför­de­rung von Schü­le­rIn­nen und Men­schen mit Behin­de­rung. Ins­ge­samt ist der ÖPNV dra­ma­tisch unterfinanziert.

Dies bedeu­tet nicht weni­ger, als dass der Staat sich auch hier aus der Daseins­vor­sor­ge zurück­zieht und damit ein gutes Stück Lebens­qua­li­tät für die gro­ße Mehr­heit der Men­schen ver­lo­ren geht. Ein guter ÖPNV bedeu­tet Mobi­li­tät für Vie­le bei mög­lichst gerin­ger Belas­tung und Beläs­ti­gung durch Dreck, Gestank und ver­un­stal­te­te Land­schaf­ten. Zu einem guten ÖPNV gehö­ren ein dich­tes städ­te­über­grei­fen­des Ver­kehrs­netz, häu­fi­ge Fahr­ten und gute Anschlüs­se – und die Bezahl­bar­keit. Doch mit jedem Jahr stei­gen die Kos­ten für die Tickets. Kein Wun­der, dass immer weni­ger Men­schen Bus und Bahn nut­zen wol­len oder kön­nen. Die sin­ken­den Fahr­gast­zah­len sind wie­der ein Argu­ment für wei­te­re Kürzungen.
Ein kos­ten­lo­ser öffent­li­cher Nah­ver­kehr und ein gut aus­ge­bau­tes Nah­ver­kehrs­netz wür­den neben Ein­spa­run­gen bei Fahr­kar­ten­ver­kauf und -kon­trol­len vor allem auch zu sin­ken­den Kos­ten beim Auto­ver­kehr füh­ren. Zu den Kos­ten für den letz­te­ren zäh­len auch bun­des­weit jähr­lich meh­re­re Tau­send Tote und hun­dert­tau­sen­de Verletzte.

Ein guter ÖPNV liegt heu­te in wei­ter Fer­ne, weil die chro­ni­sche Unter­fi­nan­zie­rung von den Ver­ant­wort­li­chen als unver­meid­lich und gege­ben hin­ge­nom­men wird. Eine spür­ba­re Ver­bes­se­rung der Situa­ti­on wäre mög­lich, wenn die für den lau­fen­den Betrieb und für Inves­ti­tio­nen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­tel erheb­lich erhöht wür­den. Die For­de­rung nach die­sen Mit­teln muss von den Kom­mu­nen aus­ge­hen – und natür­lich von den hier leben­den Men­schen, die von den Ein­spa­run­gen bei der Daseins­vor­sor­ge direkt betrof­fen sind. Die Debat­te über die Linie 105 bringt die­se Fra­gen end­lich auf die Tagesordnung.

aus der Ober­hau­se­ner Bei­la­ge zur Avan­ti 230, Febru­ar 2015
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