Betrof­fe­nen­be­richt von Mit­glie­dern der ver.di Jugend NRW-Süd

Doku­men­ta­ti­on

Betrof­fe­nen­be­richt von Mit­glie­dern der ver.di Jugend NRW-Süd zu den Grund­rechts­ver­let­zun­gen durch 
Poli­zei und Jus­tiz beim G20-Gipfel

Fast der gesam­te Jugend­vor­stand der ver.di Jugend NRW-Süd, meh­re­re wei­te­re ver.di-KollegInnen und ande­re Bon­ner Mit­strei­te­rIn­nen wur­den beim G20-Gip­fel Opfer von poli­ti­scher Ver­fol­gung, von tage­lan­ger Frei­heits­be­rau­bung und mas­si­ver Aus­he­be­lung der demo­kra­ti­schen Grund­rech­te durch Poli­zei und Staatsanwaltschaft.

In einer Grup­pe von ca. 20 Jugend­li­chen und jun­gen Erwach­se­nen sind wir am Don­ners­tag, den 6. Juli in den frü­hen Mor­gen­stun­den nach Ham­burg auf­ge­bro­chen. Trotz der wochen­lang auf­ge­bau­ten Droh­ku­lis­se durch Poli­zei und Regie­rung waren wir fest ent­schlos­sen, unser Recht auf Demons­tra­ti­ons­frei­heit wahrzunehmen.

Für die meis­ten von uns war dies aller­dings kaum mög­lich. Nach der ers­ten Nacht auf dem Camp woll­ten wir am Frei­tag, den 7. Juli gemein­sam an den ange­kün­dig­ten Blo­cka­den gegen das Gip­fel­tref­fen teil­neh­men. Doch soweit kam es nicht: Nach nur 20 Minu­ten stopp­te die Poli­zei den Zug von 200 Men­schen, dem wir uns ange­schlos­sen hat­ten, dann ging alles blitz­schnell. Von zwei Sei­ten wur­de unser Demons­tra­ti­ons­zug von gepan­zer­ten und schwer bewaff­ne­ten Poli­zis­ten und zwei Was­ser­wer­fern ange­grif­fen und regel­recht zer­schla­gen. Für uns kam der Angriff der Poli­zei völ­lig aus dem Nichts, die Men­schen flo­hen in Panik. Wer nicht recht­zei­tig weg­kam, bekam den Poli­zei­knüp­pel zu spü­ren, wur­de auf den Boden gedrückt und zum Teil sogar dann wei­ter mit dem Schlag­stock trak­tiert. Man schrie uns an: „Halt die Schnau­ze, sonst kriegst du noch eine rein!“
„Ein sol­ches Aus­maß von Poli­zei­ge­walt habe ich noch nicht erlebt. Das war kei­ne Fest­nah­me, son­dern ein regel­rech­ter Über­fall der­Po­li­zei auf unse­re Demons­tra­ti­on.“ erin­nert sich Nils Jan­sen, Mit­glied im Jugend­vor­stand der ver.di Jugend NRW-Süd.

Im ver­zwei­fel­ten Ver­such, vor den um sich schla­gen­den Beam­ten zu flüch­ten, klet­ter­ten Demons­tran­tIn­nen in Panik über einen Zaun und stürz­ten anschlie­ßend eine meh­re­re Meter tie­fe Mau­er hin­un­ter, wobei sie sich zum Teil schwer ver­letz­ten. Nie­mand von uns hat­te so etwas je erlebt: Men­schen lagen mit zum Teil offe­nen Brü­chen auf dem Asphalt, Poli­zis­ten schlu­gen immer wei­ter auf Demons­tran­tIn­nen ein. Es waren acht (!) Ret­tungs­wa­gen nötig, um die ver­letz­ten Akti­vis­ten ins Kran­ken­haus zu bringen.

Nach­dem die Poli­zei uns vor Ort zum Teil meh­re­re Stun­den fest­ge­hal­ten hat­te, wur­den wir dann in die sog. „Gefan­ge­nen­sam­mel­stel­le“ (Gesa) gebracht. Die Zustän­de in der Gesa waren ent­wür­di­gend. Wir wur­den mit bis zu fünf Per­so­nen in einen fens­ter­lo­sen Con­tai­ner mit nichts als einer Holz­bank und glat­ten wei­ßen Wän­den gesperrt. Die „Zel­len“ waren durch­ge­hend, auch nachts, mit zer­mür­ben­dem Neon­licht beleuch­tet und kaum belüf­tet. Die schlech­te Luft, das Licht und die hohen Tem­pe­ra­tu­ren haben es fast unmög­lich gemacht, zu schla­fen. Oft sind zusätz­lich in regel­mä­ßi­gen Abstän­den Poli­zis­ten in die Zel­le gekom­men oder haben an der Tür gerap­pelt, und uns ange­schrie­en, so dass wir kaum schla­fen konnten.
Wir alle muss­ten uns vor der Poli­zei nackt aus­zie­hen, vie­le dann auch noch eine Knie­beu­ge machen. Eine jun­ge Kol­le­gin wur­de gezwun­gen, unter den Augen der Beam­ten ihren Tam­pon her­aus­zu­neh­men, und bekam anschlie­ßend kei­nen neu­en. Einer wei­te­ren Kol­le­gin wur­de von der Poli­zei bei der Fest­nah­me ihre Bril­le ent­zo­gen, ohne die sie kaum etwas erken­nen kann. Im Gefan­ge­nen­trans­port wur­den wir Zeu­ge, wie eine Gefan­ge­ne von der Poli­zei ver­prü­gelt wur­de, um ihr anschlie­ßend Fuß­fes­seln anzu­le­gen. Das sind nur eini­ge Bei­spie­le für die Demü­ti­gun­gen und Ernied­ri­gun­gen, denen wir und unse­re Mit­ge­fan­ge­nen in der Gesa aus­ge­setzt waren.

Alle außer den min­der­jäh­ri­gen Kol­le­gIn­nen wur­den über 35 Stun­den in der Gesa fest­ge­hal­ten. Bis wir einem Rich­ter vor­ge­führt wur­den, muss­ten wir bis zu 30 Stun­den war­ten, einen Anwalt sahen vie­le erst nach 12 Stun­den und mehr. Der Anwalt eines Bon­ner Kol­le­gen wur­de in der Gesa von der Poli­zei tät­lich ange­grif­fen. Doch die Tor­tur ende­te nicht nach den 35 Stun­den in der Gesa: Das pro­vi­so­ri­sche „Schnell­ge­richt“, das extra für den Gip­fel ein­ge­rich­tet wur­de, kam der For­de­rung der Poli­zei nach, uns wei­te­re 28 Stun­den fest­zu­hal­ten. Fast alle inhaf­tier­ten Bon­ner wur­den in die JVA Bill­wer­der ver­legt und dort bis zum Sonn­tag, den 9. Juli um 18 Uhr fest­ge­hal­ten. Aber damit nicht genug: Am Ende ist das pro­vi­so­ri­sche Ham­bur­ger Amts­ge­richt der For­de­rung der Staats­an­walt­schaft sogar so weit nach­ge­kom­men, dass drei Kol­le­gIn­nen in Unter­su­chungs­haft gesteckt wur­den! Unter faden­schei­ni­gen Grün­den wur­den den Bon­nern „Flucht­ge­fahr“ attes­tiert, zwei von ihnen saßen von Frei­tag bis zum nächs­ten Frei­tag, also mehr als 170 Stun­den, hin­ter Gittern.

Die ver.di Jugend NRW-Süd steht hin­ter den betrof­fe­nen Mit­strei­te­rIn­nen und ruft zu brei­ter Soli­da­ri­tät auf!
• Schluss mit der Kri­mi­na­li­sie­rung des legi­ti­men Pro­tests gegen die G20! Frei­heit für die inhaf­tier­ten G20-AktivistInnen!
• Für die Erhal­tung und Erwei­te­rung der demo­kra­ti­schen Rech­te! Poli­zei, Jus­tiz und Bun­des­re­gie­rung: Fin­ger weg vom Versammlungsrecht!
• Kom­pro­miss­los für Frie­den, für Umwelt­schutz, für gren­zen­lo­se Soli­da­ri­tät statt G20!

Spen­det für von Repres­si­on betrof­fe­ne AktivistInnen!

Spen­den­kon­to
Rote Hil­fe e.V.
IBAN: DE25 2605 0001 0056 0362 39
Spar­kas­se Göttingen
Stich­wort: „G20

aus der Ober­hau­se­ner Bei­la­ge zur Avan­ti, Oktober/November 2017
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