Erdoğans Wölfe
In Avanti O. berichteten wir über eine Veranstaltung mit Dr. Nikolaus Brauns, bei der er über die politische Lage in der Türkei und die Situation in den kurdischen Landesteilen referiert hatte1. Die Türkei und die kurdische Frage gehören zu den Forschungsschwerpunkten des Journalisten und promovierten Historikers. Im April 2016 hat Nick Brauns nun auf www.sicherheitspolitik-blog.de einen Artikel veröffentlicht, in dem er sich mit faschistischen Tendenzen in der Türkei auseinandersetzt. Diesen Beitrag stellen wir hier in Auszügen vor.
C.P.
Der Artikel ist Teil einer Diskussion auf dem Blog über den wachsenden Einfluss extrem rechter Organisationen in Europa und enthält über den oben erwähnten Veranstaltungsbericht hinaus weitere Informationen, die hilfreich sind für das Verständnis der derzeitigen Entwicklung in der Türkei.
Die AKP, die Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, die seit 2002 die Türkei allein regiert, wird gemeinhin als islamisch-konservativ charakterisiert.
Die MHP, die Partei der Nationalistischen Bewegung, ist parlamentarische Vertreterin der Grauen Wölfe. Bei den Grauen Wölfen handelt es sich um türkische Faschisten, die für ein Turan genanntes Großreich aller Turkvölker vom Balkan bis zur chinesischen Mauer eintreten.
Noch im Jahr 2014 hatte sich die MHP als klare Opposition zur AKP verstanden. Nick Brauns beschreibt in seinem Artikel, wie sich die beiden Parteien seitdem einander angenähert haben. Heute stützt sich die regierende AKP zunehmend auf die Ideologie, die Methoden und auch das Personal der Grauen Wölfe, während umgekehrt die MHP mit der AKP eine Kriegsallianz gegen die kurdische Befreiungsbewegung eingegangen ist. Hierbei ist nicht unwichtig, dass die Grenzen der AKP ins faschistische ebenso wie ins radikal-islamische Lager von jeher fließend waren und sie sowohl Politiker verbotener radikal-islamischer Parteien als auch der MHP einbinden konnte.
Elemente faschistischer Herrschaft
Nachdem die AKP-Herrschaft in den letzten Jahren bereits polizeistaatliche Züge angenommen hatte, zeichnet sich für Nick Brauns seit vergangenem Jahr ein Übergang zu offen faschistischen Herrschaftsmethoden ab. Diese können seiner Auffassung nach unter anderem charakterisiert werden durch:
1. den Einsatz paramilitärischer Gruppierungen, die außerhalb von Armee und Polizei agieren und sich aus dem faschistischen Milieu rekrutieren;
2. das willkürliche sich Hinwegsetzen des Präsidenten über die verfassungsmäßige Ordnung;
3. die Gleichschaltung der Justiz unter der Kontrolle der Regierungspartei;
4. die Gleichschaltung der Medien verbunden mit der Inhaftierung von regierungskritischen Journalisten und der Unterstellung oppositioneller Zeitungen und Sender unter staatliche Treuhänderschaft;
5. einen keine Zwischentöne mehr kennenden Freund-Feind-Diskurs der AKP-Regierung sowie einen zunehmend rigiden religiös inspirierter Moralduktus zur Kontrolle des Verhaltens der Bürgerinnen und Bürger und insbesondere der Frauen;
6. die Säuberung des Staatsapparates von jeglichen nicht der Regierungspartei angehörenden oder mit ihr verbundenen Beamten;
7. Schauprozesse aufgrund fingierter und manipulierter Ermittlungen gegen Kritiker und Oppositionelle auch aus dem bürgerlichen und religiösen Lager (Gülen-Bewegung) und Einschüchterung jeglicher oppositioneller Stimmen durch staatliche Repression, wie im Falle der Akademiker, die wegen ihrer Unterstützung eines Friedensappells inhaftiert wurden;
8. die versuchte oder tatsächliche Übernahme von Kapitalgruppen, die mit den AKP-nahen Kapitalverbänden konkurrieren durch staatliche Treuhänder;
9. den Einsatz aller militärischen Machtmittel und willkürlicher Massaker an kurdischen Zivilisten durch staatliche und parastaatliche Kräfte ohne jede Aufklärung oder Rechenschaft durch die politisch und militärisch Verantwortlichen.
Kurdenhass als einendes Band
Der Autor stellt zudem fest, dass die türkische Kriegspolitik gegen KurdInnen auch außerhalb der Türkei Unterstützung findet: In Deutschland gibt es schätzungsweise 30.000 organisierte Anhänger der Grauen Wölfe in der MHP-nahen Türkischen Föderation sowie in zwei kleineren, stärker religiös geprägten Dachverbänden. Zudem existiert eine über soziale Medien vernetzte entsprechende Jugendszene. Außerhalb der Vereinsföderationen entstehen Gruppierungen wie der Motorradclub MC Turkos und der mit Rockerkutten mit dem Wolfsemblem auftretende Verein Turan e.V., dessen Mitglieder sich im Kampfsport üben.
Nach der Einschätzung von Nick Brauns zielt dieses zunehmend militante Auftreten der türkischen Faschisten auf die Einschüchterung von linken Kritikern und pro-kurdischen Aktivisten in den Reihen der türkeistämmigen Diaspora ab. Er verweist dabei auf mehrere Brandanschläge auf das HDP-Büro in Berlin und gewaltsame Übergriffe auf Kurden und türkische Linke auch in anderen europäischen Ländern.
TIPP
Den vollständigen Artikel von Nick Brauns findet Ihr hier.
Fußnote
1 Den kompletten Bericht über die Veranstaltung am 21. November 2015 in Duisburg könnt Ihr als pdf-Datei auf der Seite des RSB Oberhausen www.rsb4-oberhausen.de herunterladen.