Zur Kommerzialisierung und Privatisierung im Gesundheitswesen und den Auswirkungen auf die Patienten und Beschäftigten, Teil 2
In der Dezember-Ausgabe der Avanti O. haben wir den ersten Teil des Interviews mit dem Betriebsrat in der städtischen Uniklinik in Mannheim, Uwe Kupferschläger veröffentlicht, zur Kommerzialisierung und Privatisierung im Gesundheitswesen und den Auswirkungen auf die Patienten und Beschäftigten. In dieser Ausgabe folgt nun der zweite und letzte Teil des Interviews, das Mitte November 2014 vom Lokalradio Bermudafunk geführt und gesendet wurde.
Radio Bermudafunk (BF): …und dass die Lebenserwartung insgesamt von Leuten, die arm sind und auch noch von schwerer Arbeit belastet sind oder waren, kürzer ist. Dass also auch die Schwerarbeit von KrankenpflegerInnen zum Beispiel eher zur Verkürzung der Lebenserwartung beitragen kann als eine Arbeit weitgehend ohne Stress.
Uwe Kupferschläger (UK): Die Lebenserwartung? Da kenne ich jetzt keine Daten. Die Lebensqualität verschlechtert sich auf jeden Fall, wenn man dauerhaft in Arbeitssituationen unter Stress arbeiten muss, so wie es in der Pflege der Fall ist. Wenn das der Alltag ist, wird dieser nicht als besonders erfreulich erlebt.
BF: Ist der Krankenstand hier unerwartet hoch?
UK: Höher ist er auf jeden Fall als zu den Zeiten, in denen wir noch genug Personal hatten. Aber diese Zeiten liegen schon so lange zurück, dass es schwierig ist, das mit Daten zu belegen. Der Krankenstand in der Pflege insgesamt ist im Bundesdurchschnitt jetzt gar nicht so hoch. Allerdings kann zum Beispiel ich an manchen Arbeitsstätten gar nicht mehr arbeiten.
BF: Also wäre es realistisch zu sagen, es ist schon ein großer Fortschritt, den Personalabbau und zum Beispiel auch das Outsourcing zu stoppen, bevor man durch Arbeitszeitverkürzung oder was auch immer wieder an Personalaufbau denken kann.
UK: Wir haben leider im Moment das Problem, dass die Berufe der Gesundheitsversorgung – das gilt jetzt nicht nur für die Pflege, sondern auch für andere Berufe – durch die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern so unattraktiv werden und teilweise auch bereits geworden sind. Als Resultat gibt es weniger BewerberInnen, die diese Arbeiten machen wollen. Das gilt selbst für den Reinigungsdienst. ReinigerInnen würden eher in anderen Bereichen arbeiten, weil der Arbeitsalltag in Krankenhäusern viel zu stressig ist.
BF: Das geht ja praktisch wie im Minutentakt, aber nicht nur bei den Reinigungskräften, sondern auch bei den Pflegekräften, die sich zum Glück dem mehr oder weniger widersetzen. Bei der Aufnahme und auch bei den OP’s habe ich selber die Erfahrung gemacht, dass man dauernd das Gefühl hat, im Akkord arbeiten zu müssen.
UK: Das ist genau das, was die Leute im Alltag erleben, Akkordarbeit bei der Versorgung von Menschen.
BF: Jetzt zum Schluss noch zwei Fragen zum Problem der so genannten Tarifeinheit und auch noch zu ähnlichen Zuständen, die ja nicht nur in Deutschland bestehen. Ver.di und jetzt auch die Standesorganisation Marburger Bund ‚haben sich hauptsächlich im Zusammenhang mit dem GDL-Streik eindeutig gegen das „Tarifeinheitsgesetz“ ausgesprochen. Dazu gleich ein Verweis auf ein Interview mit Anton Kobel in der jungen Welt, der dieses geplante „Tarifeinheitsgesetz“ als Angriff auf das Streikrecht insgesamt bezeichnet hat. Wenn es nicht von allen Gewerkschaften abgewehrt, wird es sich nicht nur auf die kleinen Spartengewerkschaften, sondern auch auf alle anderen auswirken.
UK: Da gibt es eigentlich gar keine andere Haltung für einen Gewerkschafter. Die Koalitionsfreiheit ist im Grundgesetz festgelegt, und sie ist auch nicht aufzuweichen. Da sollte die große Mehrheit im Bundestag überhaupt nicht diese Türen aufmachen und meinen, sie könnten jetzt am Streikrecht rütteln. Das ist verboten. Die sollen also die Finger weglassen. Das Streikrecht bleibt einfach unantastbar. Wir Gewerkschafter regeln unter uns, wer wo welche Sachen verhandeln darf, und das können die Gewerkschaften auch untereinander, da brauchen wir den Gesetzgeber gar nicht dafür.
BF: Jetzt noch die Frage der internationalen Solidarität, weil ja mit dieser neoliberalen Politik die Kommerzialisierung, Privatisierung und der Raub des öffentlichen Eigentums mit unvorstellbaren Bereicherungen nicht nur in Deutschland statt findet. Unter dem Diktat der Troika und der Bundesregierung in Berlin sind Zustände geschaffen worden, aufgrund derer z.B. in Griechenland Krankenhäuser geschlossen werden und die Beschäftigten in Selbstverwaltung ohne Bezahlung weiterarbeiten. In Portugal werden in der Zeit nach dem Faschismus erkämpfte Gesundheitszentren geschlossen und zehntausende Beschäftigte entlassen. In Spanien kam es schon öfters zu machtvollen Demonstrationen bis hin zum Generalstreik mit großer Beteiligung der Beschäftigten des Gesundheitswesens. Habt Ihr vom Betriebsrat direkte Kontakte, um auch von diesen Kämpfen lernen, und, wie es auf einer Betriebsversammlung schon vorgekommen ist, die Hetze gegen die KollegInen in diesen Ländern strikt zurückzuweisen zu können?
UK: Betriebsrätlich haben wir keine Kontakte ins Ausland, das ist im Moment auch schwierig. Wir sind in unserer Arbeit hier vor Ort doch zu arg befangen, um als Betriebrat jetzt noch Kontakte ins Ausland zu pflegen. Gewerkschaftlich kriegt man da schon einiges mit, und gibt es auch tatsächlich Bündnisse, europa- und weltweit. Es gibt angefangen von ver.di zum Beispiel im Moment eine Kampagne für weltweit einzuführende Arbeitsstandards.
BF: Oder auch „Equal Pay“ [gleicher Lohn für gleiche Arbeit, d. Red.] zum Beispiel?
UK: „Equal Pay“, genau!
BF: Wie erklärst Du Dir – als letzte Frage – dass eines der ärmsten Länder, das sozialistische Kuba, es schafft, sein Gesundheitswesen der Bevölkerung kostenlos anzubieten. Darüber hinaus tausende von ÄrztInnen – soviel ich weiß 5.000 an der Zahl – regelmäßig weltweit zu Einsätzen zu senden, wie etwa jetzt bei der Bekämpfung von Ebola.
UK: Erstmal muss man sich dafür schämen, wenn man in einem der reichsten Länder der Welt wohnt und sich dann vergleicht mit einem Land wie Kuba, das mühelos in der Lage ist, jede Menge Ärzte abzuziehen und sie in Ebolagebieten einzusetzen. Ich weiß nicht, wie viele es waren, oder wie sie Hilfe in Form von Personal und Geld in diese Ebolagebiete transferieren – was von hier wirklich nur schwer möglich war – und warum. Das hat wohl damit zu tun, dass sie die Prioritäten anders gesetzt haben. Bei denen steht im Vordergrund die Gesundheitsversorgung, das ist ein Akt der Solidarität. Das ist das, was das Gesundheitswesen hier mal dargestellt hat und von dem man sich in den Staaten Europas leider abkehrt. Diese gelebte Solidarität mit den Kranken, Alten, Schwachen, die wird hier gerade vernichtet, das versucht man gerade abzuschaffen. Das lebt in Kuba.
BF: Ich danke Dir für das Gespräch, Uwe! Ich wünsche Eurem Betriebsrat und Vertrauenskörper genug Ausdauer und Kraft in diesem Kampf für die Gleichbehandlung aller Menschen, für eine Behandlung, die nicht vom Geldbeutel abhängt, hin zu einer Situation, in welcher hoffentlich Per- sonal aufgebaut werden kann. Ich hoffe, dass Ihr dazu die notwendigen Aktionsformen findet, um in dieser Richtung weiter etwas durchsetzen zu können.