Wer­ne Ein neo­li­be­ra­les Lehrstück

Wer­ne: Haus­halts­sa­nie­rung durch Tarifflucht?

Ein neo­li­be­ra­les Lehrstück

Petra Sta­ni­us

Seit März 2014 strei­ken Beschäf­tig­te des Natur-Sole­bads Wer­ne, um die Betrei­ber­ge­sell­schaft des Bades zur Aner­ken­nung des Tarif­ver­tra­ges für den Öffent­li­chen Dienst (TVöD) zu bewe­gen. Ihr mit lan­gem Atem und viel Enga­ge­ment geführ­ter Arbeits­kampf ist von grund­sätz­li­cher Bedeu­tung für die Beschäf­tig­ten von – ins­be­son­de­re finanz­schwa­chen – Kommunen.

Die zum Kreis Unna gehö­ren­de Stadt Wer­ne hat ca. 30.000 Ein­woh­ne­rIn­nen und liegt am Ran­de des Ruhr­ge­biets, ca. 25 Kilo­me­ter von Dort­mund ent­fernt. Beim städ­ti­schen Natur-Sole­bad arbei­ten gut 70 Men­schen. Einem Teil von ihnen wird die Bezah­lung nach dem TVöD vor­ent­hal­ten. Sie erhal­ten zwi­schen 200 und 700 Euro weni­ger im Monat für ihre Tätig­keit als ihre Kol­le­gIn­nen. In allen ande­ren kom­mu­na­len Bädern wer­den die Beschäf­tig­ten nach Tarif bezahlt.


Was auf dem ers­ten Blick nur Weni­ge zu betref­fen scheint, ist tat­säch­lich so bedeu­tend, dass sich der Bun­des­vor­stand von ver.di ein­ge­schal­tet hat, um die­sen Arbeits­kampf zu unter­stüt­zen: In der klei­nen Stadt droht die Schaf­fung eines Präzedenzfalles.
Wie auch ande­re Kom­mu­nen in der Regi­on hat Wer­ne kei­nen aus­ge­gli­che­nen Haus­halt. Wie in ande­ren Städ­ten der Regi­on in ver­gleich­ba­rer wirt­schaft­li­cher Lage wur­de und wird nach „Ein­spar­po­ten­ti­al“ gesucht. Und wie anders­wo wur­de es unter ande­rem beim städ­ti­schen Schwimm­bad gefun­den: Die Kos­ten für den Betrieb des Sole­bads wur­den von den Stadt­obe­ren als zu hoch aus­ge­macht. Denk­ba­re Maß­nah­men waren für sie die Schlie­ßung des Sole­ba­des, die voll­stän­di­ge Pri­va­ti­sie­rung – und der Weg, der dann im Jahr 2007 vom dama­li­gen Rat1 ein­stim­mig beschlos­sen und beschrit­ten wurde:
Für den Betrieb des Sole­ba­des, das zuvor als städ­ti­scher Eigen­be­trieb geführt wur­de, wur­de die Natur-Sole­bad Wer­ne GmbH gegrün­det. – als 100prozentige Toch­ter der Stadt Wer­ne. Sie wur­de jedoch nicht Mit­glied im Kom­mu­na­len Arbeit­ge­ber­ver­band (KAV) NW und unter­liegt damit kei­ner Tarif­bin­dung. Für die zu dem Zeit­punkt der GmbH-Grün­dung beim Sole­bad beschäf­tig­ten Kol­le­gIn­nen wur­de ein Bestands­schutz ver­ein­bart, so dass sie wei­ter­hin nach dem TVöD bezahlt wer­den. Für alle spä­ter von der GmbH ein­ge­stell­ten Kol­le­gIn­nen gilt dage­gen kein Tarif­ver­trag. Es war erklär­tes Ziel der GmbH-Grün­dung, der Tarif­bin­dung aus­zu­wei­chen und nied­ri­ge­re Löh­ne zu zah­len, um so die Betriebs­kos­ten für das Bad zu senken.
Seit Janu­ar 2013 ist Wer­ne auf­grund von Über­schul­dung zu einem Haus­halts­si­che­rungs­kon­zept ver­pflich­tet, das bis spä­tes­tens 2020 den Aus­gleich des städ­ti­schen Haus­halts zwin­gend vor­schreibt. Dies wird von den Ver­ant­wort­li­chen der Stadt Wer­ne als Begrün­dung benutzt, um auf die For­de­run­gen und Ange­bo­te der zustän­di­gen Gewerk­schaft ver.di in kei­ner Wei­se ein­zu­ge­hen: Die Erhö­hung des jähr­li­chen Zuschus­ses für das Bad wür­de den ange­streb­ten Haus­halts­aus­gleich gefähr­den bzw. die Stadt zur Kür­zung ande­rer frei­wil­li­ger Leis­tun­gen im Kul­tur- und Sport­be­reich oder im Kin­der- und Jugend­be­reich zwin­gen. Laut der Geschäfts­füh­rung der GmbH wür­de die Bezah­lung der Beschäf­tig­ten nach Tarif das Bad in die Insol­venz treiben.

Mit ande­ren Wor­ten: Von den neu ein­ge­stell­ten Beschäf­tig­ten des Sole­bads wird erwar­tet, dass sie auf einen Teil des ihnen zuste­hen­den Lohns ver­zich­ten, um so einen Bei­trag zu leis­ten für die Sanie­rung des städ­ti­schen Haushalts.
Wäh­rend in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten die Rei­chen, unter ande­rem durch Steu­er­sen­kun­gen, immer rei­cher – und die öffent­li­chen Kas­sen immer lee­rer – gewor­den sind, sind die Kom­mu­nen vor­sätz­lich arm gemacht wor­den: Indem sie nicht die benö­tig­ten Mit­tel erhal­ten haben, die für die Erfül­lung ihrer im Lau­fe der Jah­re immer umfang­rei­cher gewor­de­nen Auf­ga­ben not­wen­dig gewe­sen wären. Das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem befin­det sich nach wie vor in einer tie­fen Kri­se – und die hier­durch ent­ste­hen­den Las­ten wer­den auf viel­fäl­ti­ge Wei­se auf die Lohn­ab­hän­gi­gen abgewälzt.
Hier tut die herr­schen­de Poli­tik so, als ob die kom­mu­na­len Defi­zi­te von den Gemein­den ver­ur­sacht wor­den wären und ver­langt, dass sie nun von die­sen abge­baut wer­den – eine Auf­ga­be, die z.B. für vom Struk­tur­wan­del stark betrof­fe­nen Städ­te wie Duis­burg, Ober­hau­sen und vie­le ande­re Gemein­den im Ruhr­ge­biet prak­tisch unmög­lich ist. Sie ver­su­chen es dennoch.

Die Fol­gen davon sind für die gro­ße Mehr­heit der Men­schen direkt spür­bar. Denn am Wohn­ort spielt sich das täg­li­che Leben ab, und des­sen Qua­li­tät ist nicht zuletzt davon abhän­gig, wel­ches Kul­tur- und Frei­zeit­an­ge­bot es gibt, wel­che Mög­lich­kei­ten für Kin­der­be­treu­ung und Bil­dung, wie der öffent­li­che Nah­ver­kehr beschaf­fen ist, und wel­che Infra­struk­tur die Stadt bereitstellt.
Gro­tesk ist, dass Ein­woh­ne­rIn­nen armer Gemein­den als Fol­ge die­ser Poli­tik auf immer mehr Ange­bo­te wie Schwimm­bä­der, Büche­rei­en und Jugend­zen­tren ver­zich­ten müs­sen und gleich­zei­tig immer höhe­re Gebüh­ren und Bei­trä­ge bezah­len sol­len, da die betref­fen­den Kom­mu­nen auch auf der Ein­nah­men­sei­te Hand anle­gen, um den Haus­halt auszugleichen.
Eine wei­te­re Mög­lich­keit für die Kom­mu­nen, ihren Haus­halt zu sanie­ren, sind Ein­spa­run­gen beim eige­nen Per­so­nal. Von die­ser Mög­lich­keit wird in Form von Ein­stel­lungs­stopp und Per­so­nal­ab­bau bereits all­ge­mein Gebrauch gemacht. Die Flucht aus dem Tarif­ver­trag ist eine wei­te­re Variante.
Klar, dass die Kol­le­gIn­nen vom Sole­bad Wer­ne zu dem damit ver­bun­de­nen Lohn­ver­zicht nicht bereit sind und glei­chen Lohn für glei­che Arbeit fordern.

Um ihren For­de­run­gen Nach­druck zu ver­lei­hen, befin­det sich etwa die Hälf­te der Beleg­schaft seit März 2014 im Streik. Nach­dem der zunächst tage­wei­se auf­ge­nom­me­ne Streik kei­ne Wir­kung zeig­te, nah­men die Kol­le­gIn­nen am 7. April den Erzwin­gung­streik auf, der bis heu­te andau­ert. Mit den trotz des Streiks wei­ter arbei­ten­den Beleg­schafts­an­ge­hö­ri­gen ist der regu­lä­re Betrieb des Bades bis heu­te nicht mög­lich. Auf der Web­site des Schwimm­ba­des wird täg­lich ver­öf­fent­licht, wann wel­che Berei­che des Bades ver­mut­lich geöff­net sein wer­den. Ver­bind­li­che Aus­künf­te durch die Betrei­ber sind nicht mög­lich, denn ver.di teilt weder Tag noch Dau­er der Arbeits­nie­der­le­gun­gen im Vor­aus mit.
Am 25. Juli orga­ni­sier­te ver.di eine NRW-wei­te Demons­tra­ti­on, um die Strei­ken­den zu unter­stüt­zen. Aus meh­re­ren Städ­ten kamen Bus­se nach Wer­ne, so dass sich etwa 300 Teil­neh­mer- Innen ein­fan­den, um mit einer Demons­tra­ti­on zur Kund­ge­bung in der Innen­stadt zu ziehen.

Bedau­er­li­cher­wei­se kön­nen die Strei­ken­den nicht von jedem der Red­ner auf der Kund­ge­bung tat­säch­li­che Unter­stüt­zung erwar­ten – auch nicht von dem Haupt­red­ner Klaus Bart­hel, der für die SPD im Bun­des­tag sitzt. Nach ein­lei­ten­den kämp­fe­ri­schen Wor­ten und viel zutref­fen­der Kri­tik schlug er den Bogen zu sei­ner Rea­li­tät und recht­fer­tig­te die Poli­tik der Gro­Ko. Und die Aus­wir­kun­gen genau die­ser neo­li­be­ra­len Poli­tik sind es, die die Beschäf­tig­ten des Sole­bads in den Streik tre­ten lie­ßen und die Demons­tran­tIn­nen zur Erklä­rung ihrer Soli­da­ri­tät auf die Stra­ße trieben.
Die Strei­ken­den des Sole­bads Wer­ne kämp­fen nicht nur für sich. Sind sie mit ihrem Arbeits­kampf erfolg­reich, so wird es weni­ger attrak­tiv für ande­re Kom­mu­nen, das Wer­ner Modell der Tarif­flucht nach­zu­ah­men. Der muti­ge Ein­satz der Kol­le­gIn­nen ver­dient vol­le Unterstützung!

aus der Ober­hau­se­ner Bei­la­ge zur Avan­ti 225, Sep­tem­ber 2014
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